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Gesundheit: Billig und willig

Studie: 37 Prozent der Uniabsolventen machen Praktika, zur Hälfte unbezahlt

Gibt es die Generation Praktikum? Zumindest in Berlin stieg innerhalb von zwei Jahren der Anteil der Uniabsolventen, die mindestens ein Praktikum nach dem Studium absolviert haben, von 25 auf 41 Prozent. Diese Zahlen stellte Dieter Grühn, Absolventenforscher an der Freien Universität (FU), gestern vor. Seine Studie zu „prekären Beschäftigungsformen von Hochschulabsolventen“ entstand in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und der Hans-Böckler-Stiftung. Befragt wurden die Abschlussjahrgänge der FU und der Uni Köln vom Wintersemester 2002/03.

Grühn hatte bereits den FU-Jahrgang 2000 nach geleisteten Praktika befragt. Nur bei dieser einen Frage gab es also einen Vergleichswert, in den anderen Punkten liefert die Studie erstmals empirische Zahlen zu den viel diskutierten Phänomenen der „Generation Praktikum“ und des „Prekarariats“. Beide Begriffe hatten es unter die ersten zehn bei der Wahl zum Wort des Jahres 2006 geschafft. Doch bislang fehlten stets belastbare Zahlen und Fakten. Grühns Studie stützt sich auf Antworten von über 500 Kölner und Berliner Absolventen – ein repräsentativer Querschnitt nach Geschlecht und Studienfach.

Danach haben 37 Prozent der Uniabsolventen mindestens ein Praktikum nach dem Abschluss absolviert; bei den Frauen waren es 44 Prozent und bei den Männern 23 Prozent. Die Hälfte der Praktika war unbezahlt, ein Viertel der befragten Akademiker fühlte sich als „billige Arbeitskraft“. Durchschnittlich dauerte ein Praktikum sechs Monate. „Die Generation Praktikum ist nicht nur ein Medienereignis, sondern Realität für alle Studienfächer“, sagte Grühn. Allerdings nicht im gleichen Maße: In den Geistes- und Kulturwissenschaften macht mehr als die Hälfte ein Praktikum nach dem Studium, knapp die Hälfte ist es bei den Sozialwissenschaften. Aber auch viele Wirtschafts- und Naturwissenschaftler machen ein Praktikum, hier gibt es jedoch deutlich häufiger Geld. 29 Prozent der Wirtschaftswissenschaftler haben ein bezahltes Praktikum gemacht, nur neun Prozent ein unbezahltes. Bei den bezahlten Praktika liegt der Durchschnittsverdienst bei etwa 600 Euro monatlich . Dabei verdienen Frauen mit 543 Euro deutlich weniger als Männer mit 741 Euro. Bei zwei Drittel der Befragten helfen die Eltern finanziell aus. 40 Prozent gaben an, dass sie während des Praktikums noch jobben mussten.

Grühn und seine Kollegin Heidemarie Hecht fragten auch nach der „Berufseinstiegsbiografie“ und der beruflichen Situation dreieinhalb Jahre nach dem Abschluss, also im Herbst 2006. Das Ergebnis: Nur 39 Prozent der Absolventen haben nach den dreieinhalb Jahren einen unbefristeten Arbeitsvertrag. 34 Prozent sind befristet beschäftigt, 16 Prozent freiberuflich oder selbständig. Nur vier Prozent des Jahrgangs waren im Herbst 2006 arbeitslos. „Studieren lohnt sich immer noch“, sagt Grühn. Neu sei jedoch das Phänomen der „Übergangsarbeitslosigkeit“. Ein Viertel der Befragten war in den dreieinhalb Jahren zumindest zeitweise arbeitslos. Praktika würden auch häufig angenommen, um diese „Sucharbeitslosigkeit“ zu kaschieren.

Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ingrid Sehrbrock kritisierte die Wirtschaft. Die Hälfte der befragten Praktikanten gab an, dass die Ergebnisse ihrer Arbeit fest in den Unternehmensablauf eingeplant waren. Das widerspreche dem Sinn von Praktika, bei denen das Lernen im Vordergrund zu stehen habe. Sehrbrock forderte von der Bundesregierung, dass Praktika gesetzlich eindeutig als Lernverhältnis definiert und auf drei Monate begrenzt werden.

Die Generation Praktikum selbst ist laut Dieter Grühn weniger kämpferisch: „Die Mehrzahl der Absolventen hat sich mit dem Phänomen abgefunden.“ Doch resigniert haben sie offenbar nicht. 70 Prozent der Befragten sagten, sie sähen ihre Zukunft nach wie vor optimistisch.

Fabian Reinbold

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