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Gesundheit: Deutschland ist nicht die erste Adresse

Von den Unis umworben, aber mitunter verdächtig: eine kleine Geschichte muslimischer Studierender

Ernten Deutschlands Hochschulen die bösen Früchte einer alten Freundschaft zu den Arabern? Ausgerechnet an deutsche Universitäten führen Spuren des Terrors: Mounir El Motassadeq, der unter Verdacht steht, an den Anschlägen vom 11. September beteiligt gewesen zu sein, studierte an der Technischen Universität Hamburg-Harburg. Der Marokkaner Abdelgahni Mzoudi, ebenfalls der Beihilfe zum mehrtausendfachen Mord verdächtig, an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg. Und kurz vor Ostern wurde der Marokkaner Fouad El Morabit Anghar, ein Ingenieurstudent, der zeitweise in Darmstadt gelebt hat, in Madrid verhaftet. Er wird verdächtigt, am Terroranschlag in der spanischen Hauptstadt vor wenigen Wochen beteiligt gewesen zu sein. Arabische männliche Studenten wurden in der Rasterfahndung der Polizei besonders beachtet.

Gebetsecke an der Technischen Uni

Zieht es arabische Studenten vielleicht vor dem Hintergrund der Geschichte besonders zahlreich nach Deutschland, so dass hier auch mehr potenzielle Terroristen landen? In der Tat gibt es in der Forschung vielfältige Kooperationen mit islamisch geprägten Ländern. Unlängst hat der Iran die deutschen Universitäten um Hilfe beim Aufbau einer Technischen Hochschule gebeten. In Kairo ist vor kurzem eine deutsche Universität eröffnet worden. Die TU Berlin ist maßgeblich beteiligt am Aufbau eines Rechenzentrums für die Universität in Kabul. Wegen der langjährigen guten Beziehungen hat die TU schon vor 30 Jahren eine Gebetsecke für Moslems eingerichtet – Ärger gab es, als dort nach dem 11. September antiamerikanische und antisemitische Hetze zu hören war.

Doch obwohl viele deutsche Unis gute Kontakte zu islamischen Ländern pflegen, ist das Verhältnis in Wirklichkeit keineswegs besonders innig, wie die Statistiken zeigen (siehe Kasten). „Neben den USA sind die früheren Kolonialmächte immer noch die erste Adresse für den akademischen Nachwuchs in der arabischen und islamischen Welt“, sagt der Bonner Orientalistikprofessor Stefan Wild. Tatsächlich ist die Hochschulausbildung in den arabischen Staaten noch von den ehemaligen Kolonialmächten geprägt, also England und Frankreich. Wenn dann der älteste Sohn einer betuchten und einflussreichen Familie aus den Emiraten auf der britischen Militärakademie Sandhurst sein Offizierspatent macht, liegt es nahe, dass der jüngere Bruder in Oxford einen Bachelorabschluss versucht.

Englisch ist die erste Fremdsprache in der arabischen Welt. Die deutsch-arabische Freundschaft war historisch immer nur nachrangig. „Sie funktionierte nach der Devise: Der Feind meines Feindes, das heißt Englands, ist mein Freund“, sagt Wilds Mitarbeiter Remon Azar. Deshalb unterstützte der deutsche Kaiser Anfang des 20. Jahrhunderts das Osmanische Reich beim Bahnbau von Istanbul nach Bagdad – eine Strecke, die bis zum Persischen Golf führen und so die englische Vorherrschaft auf den Meeren beeinträchtigen sollte. Später meinte der Großmufti von Jerusalem, den die Briten mit Haftbefehl suchten, in Adolf Hitler einen Verbündeten zu haben. So erschien Generalfeldmarschall Rommel vielen Arabern in Afrika als der erhoffte Befreier.

Ansonsten machte sich bereits im 19. Jahrhundert die protestantische Mission mit Schulen und Hospitälern von Kairo bis Palästina einen respektablen Namen. Die ersten Studenten aus Ägypten kamen 1853/54 nach Berlin, vor allem Mediziner. 1912 gehörten 20 Hochschüler zum „Ägyptischen Bund“ an der Spree. Gleichzeitig gab es aber ausländische Studenten aus China, aus Japan und aus Amerika in Deutschland, der damals führenden Wissenschaftsnation. Heute stammt der Großteil der ausländischen Studierenden aus Europa und China.

Auch andere Verbindungen Deutschlands in die islamische Welt sind nicht das Ergebnis einer systematischen Beziehungspflege. An die 2003 eröffnete German University Cairo ging kein deutscher Cent, sondern nur der Lehrplan. Sie entstand auf die Privatinitiative eines ägyptischen Physikers hin, der an der Uni Ulm Karriere machte. Und die Uni steht in Konkurrenz zur amerikanischen und zur französischen Uni, die es schon länger in Kairo gibt. Die meisten Ausgründungen deutscher Unis befinden sich in Südostasien, zum Beispiel in Singapur und Indonesien sowie in Osteuropa und Russland.

Wenn Deutschland heute viele marokkanische Studierende hat, liegt das nicht an engen wissenschaftlichen Beziehungen zu Marokko – es sind Gastarbeiterkinder. In den sechziger Jahren gab es zwei zwischenstaatliche Anwerbeverträge für Arbeitskräfte, in denen auch der Familiennachzug vereinbart war. Die marokkanischen Gemeinschaften vor allem in Nordrhein-Westfalen mit der dichtesten Hochschullandschaft Europas entwickelten sich für viele zur Alternative gegenüber dem kolonialen Studienstandort Frankreich – für Bildungsausländer und erst recht für deutsche Abiturienten marokkanischer Abstammung.

Werben um arabische Eliten

Anfang der sechziger Jahre gab es in der Bundesrepublik überhaupt nur gut 20 000 ausländische Studenten, davon 15000 außereuropäischer Herkunft. Zu der Zeit kam die erste größere Welle von Bildungsausländern ausgerechnet aus dem islamischen Kulturkreis, aus Indonesien. Bahruddin Habibie, der spätere indonesische Forschungsminister und Präsident, wurde zum Markenzeichen entwicklungspolitischer Zusammenarbeit im Hochschulbereich. Das ergab sich aber eher zufällig: Habibie wollte im damaligen Konflikt zwischen seiner Heimat und den Niederlanden nicht im Feindesland studieren. Aachen war die nächstliegende Alternative gleich hinter der Grenze.

Übrigens achtete die indonesische Botschaft darauf, dass „ihre“ Studenten nicht durch religiöse Infiltration vom Studium abgelenkt wurden. Auch die arabischen Studenten traten weniger als Muslime in Erscheinung und mehr als Verfechter eines säkularen panarabischen Nationalismus. Palästinensische Studenten wurden in Deutschland speziell aus dem Gedanken der Flüchtlings- oder Benachteiligtenhilfe aufgenommen und unterstützt.

Heute werben die deutschen Hochschulen mit der Marketingagentur „Gate“ um die besten Köpfe aus aller Welt, in diesem Monat auch auf Bildungsmessen in den Golfstaaten, um deutsche Bildung bei den arabischen Eliten besser zu verkaufen als bislang.

Eine Risikogruppe unter Bildungsausländern – jedweder Herkunft – bilden am ehesten die „Free-Movers“, die sich ohne Auswahlprüfung zum Studium einschreiben oder das Studentenvisum allein schon fürs Deutschlernen erhalten. In der Hochschule kontrolliert bislang niemand, ob sie wirklich lernen wollen oder lieber Erwerbsarbeit oder anderen Tätigkeiten nachgehen.

Hermann Horstkotte

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