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Gesundheit: Ein neues Lied von der Erde

Manfred Strecker ist dem Zusammenspiel von Gebirgsbildung und Klima auf der Spur – am Mittwoch erhielt der Potsdamer Geowissenschaftler den Leibniz-Preis

Vulkane sind Individualisten. Der eine, zum Beispiel Stromboli, spuckt stündlich Lava und glühende Steine aus, was einen Besuch auf der Insel nördlich von Sizilien zum feurigen Erlebnis werden lässt. Der andere, der etwas weiter nördlich bei Neapel gelegene Vesuv, schweigt schon länger, was ihn noch unheimlicher und gefährlicher macht. Ähnlich wie die Vulkane entladen sich auch die Spannungen in der Erdkruste hier kontinuierlich in kleineren, kaum spürbaren Beben, dort dagegen nur alle paar Jahrhunderte in gewaltigen Erschütterungen.

Manfred Strecker ist ein Forscher von gleich bleibender Aktivität. „Bei mir gibt es keine Ruhephasen“, sagt der Geowissenschaftler der Universität Potsdam. Und doch strahlt der hoch gewachsene, jugendlich wirkende Professor, der öfter in Zeiträumen von Jahrhunderttausenden als von Jahrhunderten denkt, eine angenehme Ruhe aus. Seine langfristigen Studien zur Gebirgsbildung und ihrem Zusammenspiel mit dem regionalen Klima, zu Beben und Erdrutschen im Himalaya oder in den Anden haben ihn international bekannt gemacht. Am Mittwoch wurde Strecker zusammen mit anderen Forschern mit dem Leibniz-Preis ausgezeichnet, dem mit 1,55 Millionen Euro höchst dotierten deutschen Wissenschaftspreis.

Streckers Forschungsaktivitäten überschreiten Kontinente und die Grenzen der Fachgebiete. Bezeichnend dafür sind die Steine, die auf dem Sideboard gleich links neben der Tür seines Büros in Golm liegen.

Ein Stromatolith ist darunter, den er im Nordwesten Argentiniens aufgelesen hat. Die Gesteinsschichten lassen erkennen, dass Mikroorganismen und geologische Prozesse gleichermaßen an der Entstehung beteiligt waren. Er ist in einem Flachmeer gewachsen. Heute dagegen sind er und andere Stromatolithen in Argentinien in 2000 bis 4000 Meter hohen Lagen zu finden. Sie wurden mitsamt den Anden emporgehoben.

In Argentinien hat Strecker zusammen mit seiner Frau eines der schönsten Jahre seines Lebens verbracht. Die ersten Exkursionen mit forschendem Blick machte er aber schon in seiner Kindheit in Hessen: an der Seite seines Vaters. „Mein Vater war mit Leib und Seele Biologielehrer“, erzählt er. Der Lehrer katalogisierte Orchideen, die auf den Trockenrasen im Leinetalgraben gut gediehen. „Bei diesen Ausflügen begann ich, mich für den Boden zu interessieren.“

Strecker studierte Biologie und Geographie in Göttingen und ergriff nach dem Vordiplom die Chance, ein Jahr ins Ausland zu gehen. Aus dem einen Jahr in den USA wurden acht Jahre. Strecker schwärmt noch heute von den Studienbedingungen an der Cornell Universität in Ithaca. „Die Lehrenden und Studierenden hatten ein freundschaftliches Verhältnis, die Bibliotheken waren bis 23 Uhr offen“, sagt der 48-Jährige. Er habe Zugriff auf viele aktuelle wissenschaftliche Zeitschriften und Bücher gehabt – was vielen Studenten in Deutschland versagt sei.

Trotz der zum Teil „erschütternden“ Studienbedingungen hier zu Lande hat er nach seiner Rückkehr zusammen mit Kollegen innerhalb weniger Jahre ein beachtliches Geowissenschaftliches Institut in Potsdam aufgebaut. Mit dem Preisgeld möchte er vor allem jüngeren Mitarbeitern ermöglichen, ihre Ergebnisse zu publizieren. Er wird internationale Forscher nach Golm einladen und die Zusammenarbeit mit Geologen, Polar- und Klimaforschern in der Region stärken.

Strecker hat in den zurückliegenden Jahren insbesondere das Zusammenspiel der Bewegungen der Erdkruste mit dem Klima studiert. Etwa im Himalaya und nordwestlichen Pamir, wo der Monsun feuchte Luft von Süden heranbringt. Weil sich Indien und Eurasien Jahr für Jahr um einen halben Zentimeter aufeinander zu bewegen und die Gebirge anheben, sind hier über Jahrmillionen immer neue Klimascheiden entstanden. Die Berge sind Barrieren für die atmosphärische Zirkulation. Auf der windzugewandten sind Niederschlag und Erosion stark, auf der abgewandten Seite ist es trocken. Dies ist auch in den Anden zu beobachten; die Atacama-Wüste in Chile ist dadurch entstanden, eine der trockensten Regionen der Erde.

In den feuchten Gebirgslagen kommt es immer wieder zu Bergstürzen. Schlamm- und Schuttlawinen können ganze Täler zuschieben und Zerstörungen nach sich ziehen. Strecker analysiert anhand von Bodenuntersuchungen oder Satellitenbildern, wo und wann solche Bewegungen stattgefunden haben. Er verfolgt mit ausgetüftelten Datierungsmethoden, wie sich in diesen Zeiträumen die Gebirgsbildung fortgesetzt hat und wo es dabei zu Beben gekommen ist.

„Wir müssen Auskunft darüber geben, wie gefährdet eine Region ist“, sagt er. „Das ist oft schwierig.“ Denn die Zeiträume zwischen den Bergstürzen oder Erdbeben können sehr lang sein. So auch im Rheinland: Erst seit kurzem ist bekannt, dass es hier in der Vergangenheit sehr starke Beben gab. Für die Landesplanung und Bauvorhaben sind solche Erkenntnisse unverzichtbar.

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