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Gesundheit: "Gefühl für die Stadt"

Acht Tage lang hat man sich die Füße plattgelaufen, doch die Gesichter strahlen Zufriedenheit aus.Früh um halb neun ging es los.

Acht Tage lang hat man sich die Füße plattgelaufen, doch die Gesichter strahlen Zufriedenheit aus.Früh um halb neun ging es los.Und vor neunzehn Uhr war selten Feierabend.Dazwischen wurde geguckt und diskutiert.Wenn Leute nach Berlin kommen, haben sie immer was zu gucken.Erst recht, wenn die Leute "Angewandte Geographie / Raumentwicklung" studieren."Grundlagen der räumlichen Planung am Beispiel Berlin-Brandenburg" - so lautete der Titel eines Seminars an der Universität Trier, das mit der Studienreise nach Berlin seinen Abschluß fand.

Und schon sprudelt es aus ihnen heraus.Student Thomas Braun zeigt sich beeindruckt vom "Tempo, in dem die Veränderungen hier vorangehen".Die Stadt strahle eine "enorme Innovationskraft" aus.Martina Wolff bedauert ein wenig, daß durch die Gestaltung des Potsdamer Platzes nicht mehr Ost-West-verbindende Akzente gesetzt wurden."Von der einstigen Trennung kriegt man an dieser Stelle gar nichts mit.Diese Neubauten lassen keine Erinnerung zu." Gegenargument von links."Es müssen aber auch Futuretrends gesetzt werden; eine Hauptstadt soll ja schließlich Fortschritt verkörpern", meint Philipp Bergeron.Daß die Regierungsgebäude nicht weit von "Problemvierteln" wie Kreuzberg und Tiergarten liegen, hält nicht nur Martina Wolff für einen "demokratischen Ansatz", der gewiß dazu beitrage, "daß die Politiker die Nöte der Menschen besser erkennen".Einigkeit besteht in der Meinung, daß die Erinnerung an das Alte nicht abreißen dürfe.So würde man beispielsweise den Alexanderplatz "nicht unbedingt plattmachen, um Platz für Neubauten zu schaffen".

Thomas Braun sieht die Gefahr, daß dann ein ähnlich erinnerungsloser Ort wie am Potsdamer Platz entstehen könnte.Auch Dozent Johannes Michael Nebe findet, daß in den vergangenen Jahren "etwas zuviel ausradiert" wurde.Daher hielte er es für sinnvoll - für Touristen ebenso wie für die Berliner -, ein Stadtlesesystem aufzubauen, das an markanten Orten durch Tafeln oder ähnliches auf den einstigen Standort von Bauwerken und deren Bedeutung hinweist.

Im Seminar, das der Exkursion vorausging, studierten die angehenden Geographen nicht nur Fachbücher, sondern auch Berliner Tageszeitungen.Besonders der Tagesspiegel wurde genutzt, um die Veränderungen während der letzten Monate zu verfolgen - "aus der Ferne, aber hautnah dabei", wie Thomas Braun sagt.Durch die Lektüre der Zeitungsartikel habe man sich viel besser auf diese Exkursion vorbereiten können, als das durch andere Medien möglich gewesen wäre.Die sechzehnköpfige Studentengruppe aus Trier hatte in ihrem Dozenten freilich auch den idealen Begleiter.Schließlich lebte und studierte Johannes Michael Nebe selbst zwanzig Jahre in Berlin, bis er 1971 auf seinen ersten Assistentenposten nach Bonn verschlagen wurde.Seitdem organisiert der Geograph, der aus seiner Liebe zu Berlin - "diesem Mosaik von Lebensbühnen" - kein Hehl macht, regelmäßig Exkursionen.So hält er die Verbindung zur Hauptstadt aufrecht und bietet den Studenten etwas Besonderes.Überprüfen der theoretisch gebildeten Meinung, Verfeinerung des ästhetischen Empfindens, planerische Einsicht - all das wurde in Berlingeübt.

Neben Eigenbeobachtungen standen aber auch Besuche bei offiziellen Planungsstellen auf dem Programm.Zum Beispiel bei der "Gemeinsamen Landesplanung Berlin-Brandenburg", beim Potsdamer Ministerium für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr und der Berliner Senatsverwaltung für Bauen, Wohnen und Verkehr."Der Kontakt mit Leuten aus der Praxis hat deutlich gemacht, wie sehr städtebauliche Planung von ökonomischen Zwängen bestimmt wird", so Thomas Braun.Aber das vielleicht Wichtigste war für die Studierenden, ein "Gefühl für die Stadt" bekommen zu haben, das sich nur im unmittelbaren Anschauen und Erleben einstellen kann.

Muß Dozent Nebe Angst haben, daß ihm seine Studenten in Kürze davonlaufen, um in Berlin weiterzustudieren? Zwar zeigen sich alle Exkursionsteilnehmer beeindruckt von der Vielfältigkeit und Lebendigkeit ("soviel Feuer") der Stadt und davon, "daß hier alles viel lockerer zugeht als in Trier", doch studieren möchte man doch lieber in der überschaubaren Trierer Uni.Aber danach! Ja, das könnten sie sich durchaus vorstellen.Und Nebe bemerkt, daß nicht wenige seiner Absolventen in Berlin eine Stelle gefunden haben.

Der letzte Tag in Berlin steht zur freien Verfügung.Die einen werfen sich in den Wannsee, um Berlin auch von der nassen Seite kennenzulernen.Die anderen müssen sich gleich wieder hinlegen, da sie erst morgens um halb sechs ihren Ausflug in die Berliner Nacht beendet hatten.Und einer lenkt seine Schritte in Richtung Olympiastadion.Wer es ist? Genau, der Chef.Johannes Michael Nebe, der alte Berliner, zieht sogar eine Hertha-Mütze aus der Tasche.Aber aufsetzen, nein, aufsetzen will er sie nicht.Noch nicht.

TOM HEITHOFF

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