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Gesundheit: Güte

Von Christoph Markschies, Präsident der Humboldt-Universität

Das Wort „Güte“ scheint wirklich zu den Worten zu gehören, die vom Aussterben bedroht sind: Während sprachbegabte Zeitgenossen noch von einem „Stück Fleisch mittlerer Güte“ reden, kann man in einschlägigen Fachpublikationen schon lesen, dass „von der Verwendung der Benennung ,Güte‘ synonym zu ,Qualität’“ mit Rücksicht auf die internationalen Normierungsstandards abgeraten wird. Und wenn ein großes deutsches Wörterbuch unter „Güte“ eine „freundliche, liebreiche Gesinnung“ den Mitmenschen gegenüber versteht, dann macht schon die Wortwahl deutlich, dass hier nicht aus dem Lexikon der deutschen Umgangssprache zitiert wurde. „Güte“ im Sinne einer liebenswürdigen und nachsichtigen Einstellung scheint für viele Menschen kein Wert zu sein, mit dem sich die harten Auseinandersetzungen einer globalisierten Welt gut bestehen lassen. Also verwenden sie das Wort auch gar nicht mehr. Brecht sagt etwas drastischer, was viele denken: „Was nützt die Güte, wenn die Gütigen sogleich erschlagen werden?“

Der Verlust des Begriffs begann früh: Wer kurz vor dem Ersten Weltkrieg den vorletzten österreichischen Kaiser Franz Joseph als „gütigen alten Herrn“ bezeichnete, machte sich im Grunde bereits über dessen zunehmende Weltfremdheit und Machtlosigkeit lustig, der pries nicht mehr wie vor Zeiten die grundlose Herrschergüte der großen Habsburgerkaiser. Umso auffälliger ist es, wenn heute doch einmal jemand das Wort verwendet. Als der französische Philosoph Paul Ricœur gefragt wurde, warum er wie jedes Jahr Tausende von Jugendlichen immer wieder die Gemeinschaft von Taizé in Burgund besuchen würde, antwortete er: „Die Güte bricht sich hier Bahn“, und verwies zur Begründung auf die „gelassene, taktvolle Gastfreundschaft“ der ökumenischen Brüderschaft. Und auch mir fallen beim Stichwort „Güte“ zunächst einmal einzelne Menschen ein, beispielsweise ein grundgütiger, altersweiser Kollege, der dem unmittelbar nach seiner Habilitation berufenen Nachwuchsprofessor Flausen und Voreiligkeiten liebenswürdig nachsah und nicht unbarmherzig auf den Ordnungen der Gremienuniversität bestand. Wie würde unsere Welt aussehen, wenn zugleich mit dem Wort „Güte“ auch solche gütigen Zeitgenossen verschwinden?

Der Autor ist Kirchenhistoriker und schreibt an dieser Stelle jeden zweiten Montag über Werte, Wörter und was uns wichtig sein sollte.

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