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Gesundheit: Hoffnung beim Hirninfarkt

Inosin war bisher kaum die Substanz, die Neurologenherzen höher schlagen ließ. Das könnte sich bald ändern.

Inosin war bisher kaum die Substanz, die Neurologenherzen höher schlagen ließ. Das könnte sich bald ändern. Denn der Naturstoff hat nicht nur prominente Verwandte – Inosin ist eine Purinbase wie Adenin und Guanin, beides wichtige Elemente der Nukleotide, aus denen die Erbsubstanz DNS aufgebaut ist. Zumindest im Tierversuch gibt es nun Hinweise darauf, dass Inosin auch die Folgen des Schlaganfalls mildern und die Erholung verbessern kann.

Larry Benowitz und seine Mitarbeiter vom Kinderkrankenhaus in Boston stellten ihre Versuche an Ratten an, denen sie künstlich Schlaganfälle zufügten und danach entweder neutrale Kochsalzlösung oder Inosin ins Hirnwasser spritzten. Sie berichten im Fachblatt „PNAS“.

Das Ergebnis: Zwar konnte Inosin die Größe des Schlaganfalls nicht verringern. Doch es stimulierte Nervenzellen in gesunden Hirnbereichen, ihre Ausläufer in jene Gebiete hineinwachsen zu lassen, die durch den Hirnschaden von ihren Verbindungen abgeschnitten waren.

Die andere Hirnseite kompensierte auf diese Weise einen Teil des Defekts. Die gleichen Reparaturversuche unternimmt das Gehin auch ohne Inosin – aber nach Meinung von Benowitz kann Inosin diese Effekte um wenigstens das Dreifache steigern.

Auch beim Verhalten der Tiere zeigten sich große Unterschiede. Unter Inosin konnten sie ihre Beweglichkeit deutlich besser regenerieren – etwa die Fähigkeit, die Vorderläufe wieder richtig einzusetzen oder zu schwimmen.

Inosin erreicht sehr gut das Innere von Nervenzellen. Hier kurbelt es Gene an, die ihrerseits das Aussprossen der Zellfortsätze fördern. Dabei wirkt es möglicherweise indirekt, indem es die biochemische Blockade des Nervenwachstums durch die Substanz Thioguanin aufhebt. Als körpereigener Stoff ist Inosin gut verträglich, und Benowitz hofft, dass es einen Ansatz für die Behandlung auch beim Menschen darstellt.

Dem stimmt auch der Hirnforscher Hans Werner Müller von der Universität Düsseldorf zu. „Inosin verstärkt normale Heilungsprozesse“, sagt Müller, der Benowitz für einen sorgfältigen und verlässlichen Wissenschaftler hält. Allerdings könne Inosin vermutlich nicht die Narbenbildung im Bereich des Schlaganfalls verhindern – diese fehlegeschlagene Form von körpereigener Reparatur trägt zu den Dauerschäden des Hirninfarkts wesentlich bei und verhindert, dass das Gehirn sich regeneriert.

Wesentlich skeptischer ist Peter Marx, Neurologe am Berliner Franklin-Klinikum. Die Behandlung mit Inosin sei zwar eine „interessante Idee“, doch müsse der Ansatz noch viel besser erforscht werden. Marx weiß, wovon er spricht: „Es gab bisher 500 erfolgversprechende Behandlungsversuche bei Tieren, den Schlaganfall zu kurieren. Nur: beim Menschen haben sie nicht funktioniert.“ Vielleicht liege das daran, dass man die Versuche mit jungen Tieren mache, der Hirninfarkt aber meist alte Menschen treffe.

Als bislang enttäuschend erwiesen sich etwa die Versuche, mit Hilfe von Medikamenten den Schaden nach dem Schlaganfall zu begrenzen. Die „Neuroprotektion“ zielte darauf ab, Nervenzellen vor Sauerstoffmangel und biochemischer Selbstvergiftung so weit als möglich zu bewahren – aber die Hoffnungen, die etwa auf Blocker des Botenstoffs Glutamat oder auf „Radikalenfänger“ gesetzt wurden, erfüllten sich nicht.

Doch es gibt auch handfeste Fortschritte. Der Neurologe Marx setzt auf die Auflösung des Blutpropfs im Gehirn, der den Infarkt hervorgerufen hat. Allerdings ist diese „Lyse“-Behandlung nur für weniger als zehn Prozent der Patienten geeignet, da sie ihrerseits nicht ungefährlich ist und nur beim „frischen“ Infarkt sinnvoll ist.Hartmut Wewetzer

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