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Gesundheit: Masuren als Brücke zwischen Ost und West Die „neue Albertina“ in Olsztyn, ehemals Allenstein

Bei der offiziellen Schlusszeremonie des akademischen Jahres der Universität Olsztyn (Allenstein) fehlen Prunk und Pomp, die nüchterne Sporthalle, Schauplatz der Verleihung von akademischen Würden, strahlt mühsam einen Hauch von Feierlichkeit aus. Erst der gemessene Einzug des Rektors in Hermelin und Gold inmitten der Würdenträger in dunklen Talaren lässt ernste Stimmung aufkommen und macht den dürftigen Rahmen vergessen.

Bei der offiziellen Schlusszeremonie des akademischen Jahres der Universität Olsztyn (Allenstein) fehlen Prunk und Pomp, die nüchterne Sporthalle, Schauplatz der Verleihung von akademischen Würden, strahlt mühsam einen Hauch von Feierlichkeit aus. Erst der gemessene Einzug des Rektors in Hermelin und Gold inmitten der Würdenträger in dunklen Talaren lässt ernste Stimmung aufkommen und macht den dürftigen Rahmen vergessen.

Die junge polnische Alma Mater (heute 30 000 Studenten) liegt im ehemals deutschen Ostpreußen, im Grenzgebiet zur russischen Enklave Königsberg (Kaliningrad). Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es eine landwirtschaftliche, eine theologische und eine pädagogische Hochschule. Die Universität wurde erst 1999 gegründet. Es ist die jüngste in ganz Polen. Aber sie will eine gewichtige Rolle für Europa spielen und beruft sich auf eine große Tradition. Sie sieht sich in der Erbfolge des Domherrn und Astronomen Nicolaus Kopernikus, der im 15. Jahrhundert als Universalgelehrter die Geschicke der Stadt Allenstein und ihrer Umgebung lenkte. Seine Magnifizenz, Professor Gorecki, knüpft traditionsbewusst und innovativ zugleich an den großen Vordenker an, um der strukturschwachen Region aufzuhelfen.

Die Arbeitslosigkeit liegt bei 30 Prozent, die sozialen Probleme sind riesig. Das Umland ist geprägt von Kleinstbetrieben und archaischen Methoden der Landwirtschaft – was die Region zu einem „Klotz am Bein“ EU-Europas nach Polens Beitritt macht. Die Verelendung mancher Landstriche ist unübersehbar. Finanzmittel alleine richten dagegen nichts aus. Die Veränderung muss in den Köpfen der Bewohner vonstatten gehen. Ein langer und schwieriger Weg.

Die junge Universität Olsztyn will den Menschen helfen, sich von der Selbstwahrnehmung am Ende der Welt zu befreien und den Blick für die neue, die europäische Lage der Region zu öffnen. Unter ihrer Schirmherrschaft wurde in Braniewo (Braunsberg) ein Internationales Schulungszentrum gegründet, das mit dem russischen Kaliningrad und dem finnischen Turku kooperiert. Verträge mit weiteren universitären Einrichtungen des Ostseeraums sollen folgen. So entsteht ein osteuropäisches Zentrum für Bildung und Wissenschaft mit den Schwerpunkten Pflege und Erforschung europäischer Kultur und Förderung des lokalen Kulturerbes.

Warum gerade diese Kleinstadt? Auch Braunsberg hat eine große Geschichte, war Hansestadt und Sitz der Bischöfe von Ermland und hatte bereits im 16. Jahrhundert eine theologische Hochschule. Die Wahl hat aber nicht nur geografische und historische, sondern auch soziologische Gründe: Hier leben Mitglieder verschiedener religiöser und ethnischer Gruppen – Folge der multiethnischen Neubesiedlung Ostpreußens nach der Vertreibung der Deutschen. Der Gedanke der „universitas“ mit seinen Prinzipien der Toleranz gegenüber anderen Religionen und fremden politischen Überzeugungen soll Verständnis für unterschiedliche kulturelle Werte wecken.

Entsprechend ambitioniert sind die Lehransätze in Braniewo: Internationale Beziehungen mit dem Fokus auf Europa und europäisches Recht sowie die Pädagogik kultureller Grenzländer werden im Vordergrund stehen, Umweltschutz und internationale Handelsbeziehungen in den Kanon integriert.

Diese Vorhaben heben die neue Hochschule weit aus ihrem lokalen Rahmen heraus und integrieren sie in das Zusammenspiel der Universitäten im benachbarten Ostseeraum: Danzig, Thorn, Kaliningrad, das litauische Klaipeda (früher Memel). Es ist ein ehrgeiziges Erbe, das die Olsztyner Alma Mater antritt: das der traditionsreichen Königsberger „Albertina“, die über Jahrhunderte auf die Region ausgestrahlt hatte, aber in den Kriegs- und Nachkriegswirren zu Grunde gegangen war. In Anerkennung des Abkommens von Bologna werden die Studenten auf europäische Standards eingeschworen, damit die Abschlüsse europaweit Gültigkeit haben. Ein Jahrzehnt nach Überwindung der Ost-West-Teilung entsteht wieder ein internationales Bezugssystem baltischer Gelehrsamkeit und Forschung.

Hanne Steinbuch

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