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Gesundheit: Nachdenken, bis der Arzt kommt

Auch im kommenden Jahr sollen wieder viele Tage einer bestimmten Krankheit gewidmet werden. Und es werden immer mehr. Doch in der Ballung des Leids gehen einzelne Botschaften leicht unter.

Eigentlich könnten wir uns auf den 7. April konzentrieren: Das ist der Weltgesundheitstag. Voller Dankbarkeit sollten Menschen, die nicht an einer lebensbedrohlichen oder das Leben massiv einschränkenden Krankheit leiden, an diesem Tag daran denken, dass ihr (derzeitiger) Zustand alles andere als selbstverständlich ist. Und dazu beitragen, für gesunde Lebensbedingungen überall auf der Erde zu sorgen.

Doch mit der Gesundheit ist es ein wenig so bestellt, wie Tolstoi es zu Beginn von „Anna Karenina“ beschreibt: „Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich.“ Gleichen nicht auch die Gesundheiten sich, während die Krankheiten, die Menschen befallen, denkbar unterschiedlich ausfallen, akut oder chronisch, angeboren, ansteckend oder das Ergebnis von Alterungsprozessen, große Volksleiden oder seltene Ausnahmen? So gesehen ist es nicht verwunderlich, dass vielen von ihnen eigene Tage im Jahresverlauf gewidmet sind. In den letzten Jahren sind es immer mehr solcher Gedenktage geworden.

„Im Prinzip sind Jahrestage sinnvoll – erinnern Sie uns doch im flüchtigen Alltag daran, dass unter uns Menschen leben, die von bestimmten Erkrankungen betroffen sind und deren Leben davon bestimmt wird“, sagt Adelheid Kuhlmey, Direktorin des Instituts für Medizinische Soziologie der Charité. Gut findet sie vor allem, dass an diesen Tagen Erkrankte und ihre Angehörigen zu Wort kommen. „Es sind nicht nur Tage, an denen über den Stand der Wissenschaft oder die Epidemiologie einer Erkrankung gesprochen wird, sondern an denen Betroffene selbst zeigen, wie es möglich ist, mit einer Krankheit umzugehen. Betroffene werden zu Rollenmodellen, andere Menschen können so ihre Ängste überwinden und sehen, dass sie nicht allein sind.“

Da sie sich dem Altern gewidmet hat, liegt ihr ganz besonders der Weltalzheimertag am Herzen. Er wird seit 1994 jedes Jahr am 21. September begangen. Alzheimer ist die namentlich bekannteste unter den demenziellen Erkrankungen, von denen weltweit rund 44 Millionen Menschen betroffen sind. „Demenz beschäftigt uns alle, steht sie doch in engem Zusammenhang mit der positiven Entwicklung, alt werden zu können“, sagt Kuhlmey. Nicht zuletzt trägt die Aufmerksamkeit eines Jahrestages auch zur Unterstützung eines bestimmten Fachgebiets durch Forschungsgelder und politische Maßnahmen bei. Als im Jahr 2007 zwei Bundesministerinnen die Gründung eines Nationalen Demenz-Forschungszentrums ankündigten, wählten sie ganz selbstverständlich den 21. September für die Bekanntgabe dieses Projekts.

Solche Beachtung und Unterstützung erhoffen sich allerdings viele: Wer für das gerade angebrochene Jahr einen Gesundheits- oder Krankheits-Kalender zusammenstellt, wird für so gut wie jede Woche mehrere Einträge finden können. Beispielhaft seien im ersten Quartal der Weltlepratag (26. Januar), der Weltkrebstag (4. Februar), der Europäische Epilepsietag (14. Februar), und im besonders dicht gefüllten März der Europäische Tag der Logopädie (6.), der Tag der Gesunden Ernährung (7.), der Weltnierentag (13.), der Tag der Rückengesundheit (15.), der Welttuberkulosetag (24.) und der Welttag des Down-Syndroms genannt: Er findet, passend zur chromosomalen Besonderheit der Trisomie 21, am 21.3. statt. Im April sind der Welt-Parkinsontag (11.), der Welt-Malariatag (25.) und der Internationale Tag gegen den Lärm (30.) nur drei aus einem guten Dutzend von Krankheits-Gedenktagen.

Nicht am 1. April, sondern am 4. Mai findet der ebenfalls gesundheitsförderliche Weltlachtag statt. Doch im Mai geht es auch um ernste Dinge wie den Tag gegen den Schlaganfall (10.), den Welt-Zöliakietag (17.) und den Welt-MS-Tag (28.). Und am Geburtstag der Mutter der Krankenpflege Florence Nightingale, dem 12. Mai, wird jährlich der Welttag der Pflegenden begangen – denen man ganzjährig mehr Beachtung wünscht. Leicht ist es nicht, gegen die Konkurrenz anzukommen: März ist zugleich Darmkrebsmonat, Anfang April folgt die Informationswoche zur Früherkennung von Allergien, im Herbst stehen weitere Themenwochen und -monate an: In der ersten Oktoberwoche wird gemäß dem Wunsch der WHO in aller Welt an die Bedeutung des Stillens erinnert, in der zweiten Oktoberwoche an die des Sehens, der ganze Oktober ist Brustkrebsmonat, der November Themenmonat Herz-Kreislauf-Erkrankungen – immerhin die häufigste Todesursache.

Zuerst aber kommt ausgerechnet Mitte Juni zur Mittsommernacht die Woche des Schlafs auf uns zu. Am 26.6. wird nicht nur der Internationale Tag gegen Drogenmissbrauch begangen, sondern auch der „Tag des Fußes“. Am 14. Juni ist außerdem Weltblutspendetag, am 15. Welttag gegen die Misshandlung alter Menschen.

Im Juli und im August gibt es eine Verschnaufpause, relativ wenige gesundheitsbezogene Gedenktage fallen in den Hochsommer, etwa der Weltbevölkerungstag am 11. Juli, der Internationale Tag des Linkshänders am 13. und der Welthepatitistag am 28. August. Dem geballten Leid, an das im Herbst erinnert wird, ist jedoch in seiner Vielfalt kaum gerecht zu werden: Deutscher Kopfschmerztag und Europäischer Migränetag in kurzem Abstand (5. und 12.9.), Suizidpräventionstag (10.9.), Deutscher Lungentag (20.9.), Europäischer Tag der Depression (7.10.), Internationaler Tag der Seelischen Gesundheit (10.10.), Welt-Rheumatag (12.10.), Welt-Poliotag (28.10.), Aktionstag Bauchspeicheldrüse (3.11.), Welt-Diabetestag (14.11.), Internationaler Tag der Frühgeborenen (17.11.). Medizinsoziologin Kuhlmey sieht die Gefahr, dass aus den vielen Jahrestagen zu wenig resultiert. Einer wird aber ganz sicher auch 2014 einige Aufmerksamkeit erlangen: der Weltaidstag am 1. Dezember. Schon weil es Veranstaltungen wie die Aids-Gala und „Markenzeichen“ wie die rote Schleife gibt.

Mit der medialen Aufmerksamkeit für Krankheiten, die nur wenige Menschen befallen, ist es deutlich schlechter bestellt. Der „Welttag des Kranken“ (11.2.) sorgt mit umfassendem – an katholische Allerheiligen erinnerndem – Gedenken nur für bescheidenen Ausgleich. Im Schaltjahr 2008 hat die Europäische Allianz für Seltene Erkrankungen (EURORDIS) aber auch den „Tag der Seltenen Erkrankungen“ ins Leben gerufen – passenderweise am 29. Februar, den es ebenfalls nur selten gibt. „An diesem Tag geht es darum, weltweit auf die besonderen Probleme der Betroffenen von seltenen Erkrankungen – lange Diagnosewege, kaum Informationen, wenig Experten, Therapien und großer Forschungsbedarf – aufmerksam zu machen“, erklärt Christine Mundlos, die an der Charité für die Achse Chronisch Seltener Erkrankungen (ACHSE) als medizinische Lotsin tätig ist. Unter dem Dach der ACHSE informieren Patienten, Ärzte, Forscher und Politiker gemeinsam in vielfältigen Aktionen über die Anliegen der sogenannten „Waisen der Medizin“. Es geht um zahlreiche Krankheiten, die kaum einer kennt. Und damit insgesamt auch um eine große Gruppe von Bürgern: „In Deutschland gibt es etwa vier Millionen Menschen, die an einer der 6000 bis 8000 Erkrankungen leiden“, gibt Mundlos zu bedenken. Viel mehr, als das Jahr Tage hat. Ein Tag im Jahr ruft das ins Bewusstsein. Da 2014 kein Schaltjahr ist, wird er diesmal am 28. Februar begangen.

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