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Gesundheit: Schüler unter Vertrag

Wie Jugendliche, Eltern und Lehrer sich mit Bildungsabkommen selbst in die Pflicht nehmen

Hier piepst kein Handy. Kaugummis dürfen nur in den Pausen gekaut werden, und Graffiti sucht man an den Wänden des Schulgebäudes vergeblich. Pflanzen und ein kleines Aquarium im Flur sorgen für eine fast wohnliche Atmosphäre. Dabei liegt die Heinrich-von-Stephan-Oberschule im Berliner Bezirk Moabit. Viele der Schüler kommen aus sozial schwachen Verhältnissen, der Ausländeranteil liegt bei 40 Prozent. Dennoch scheint die integrierte Haupt- und Realschule die Probleme mit schwierigen Schülern im Griff zu haben. „Man muss Eltern, Lehrer und Schüler in ein Boot holen“, sagt Jens Großpietsch, der ehemalige Leiter der Schule, der gerade in die Verwaltung befördert wurde. „Und die Schüler müssen vor allem merken, dass der Bildungsprozess in ihren eigenen Händen liegt.“ Wie das geht?

Seit dem Schuljahr 2003 schließen hier Schüler, Eltern und Lehrer ganz persönlichen Bildungs- und Erziehungsziele miteinander ab. Jede Partei verpflichtet sich zu einer bestimmten Anstrengung: Die Eltern etwa unterschreiben, dass sie darauf achten werden, ihre Kinder regelmäßig und pünktlich zur Schule zu schicken und sie zur Höflichkeit erziehen. Sodann bekommt jeder Schüler ein konkretes Lernziel: „Zu sagen: ,Du verbringst jetzt jede Woche eine Stunde in der Bibliothek’, bringt meistens mehr als zu sagen: ,Du musst mehr für dein Leseverständnis tun’“, sagt Karin Jaeger, Klassenlehrerin der 7.2. Die Lehrer wiederum müssen die Schüler bei ihren Zielen unterstützen.

Was Schulen leisten können

Nach dem Pisa-Schock haben viele deutsche Bundesländer, darunter etwa Hessen oder Nordrhein-Westfalen, Konzepte für Bildungsverträge erarbeitet. Die Heinrich-von- Stephan-Schule in Berlin macht ihre ersten Erfahrungen damit im „Modellvorhaben eigenverantwortliche Schule“ (MeS) des Senats und den Bezirken Charlottenburg-Wilmersdorf, Mitte und Tempelhof. Dabei erproben 33 Berliner Pilotschulen seit einem Dreivierteljahr, was Schulen leisten können, die mehr Autonomie vom Staat haben. Anders als Schulen in vielen anderen OECD-Staaten können deutsche Schulen weder Personal- noch Finanzentscheidungen treffen. In Brandenburg läuft ein ähnliches Projekt, mit dem Berlin kooperiert. Alle Schultypen und Altersklassen sind beteiligt. „Selbstständige Schulen sind oft erfolgreicher, denn die Identifikation auf Seiten von Lehrern, Schülern und Eltern ist viel größer“, sagt Thomas Hainz vom brandenburgischen Bildungsministerium. Als Vorbild dienen skandinavische oder englische Schulen. Hier gehören die Erziehungsverträge seit Jahren zum Alltag – die größere Freiheit geht auch mit größerer Verbindlichkeit einher. Studien zeigen, dass Schüler Selbstverpflichtungen eher einhalten als Anordnungen.

Natürlich können die Schüler bestimmte Ziele auch ablehnen. Etwa, wenn sie sich nicht zutrauen, innerhalb von fünf Wochen ein ganzes Buch zu lesen. Dann versprechen sie vielleicht, das Buch in sechs Wochen zu bewältigen. Die Ziele sollen dabei in kleinen Schritten und so konkret wie möglich benannt werden. Nach einem bestimmten Zeitraum, der ebenfalls individuell festgelegt wird und meistens einige Wochen dauert, setzen sich Schüler, Lehrer und Eltern noch einmal zusammen und evaluieren die Ergebnisse. „Wenn dann die Hälfte von dem, was in den Verträgen aufgeschrieben ist, erreicht wird, dann ist es gut“, sagt Karin Jaeger.

Sandra Löhr

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