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Gesundheit: Sonne, Mond und Sterne

Von Marion Kerstholt Sie suchen. Nach Schätzen.

Von Marion Kerstholt

Sie suchen. Nach Schätzen. Nachts streifen sie durch die Wälder von Sachsen-Anhalt. Und nicht selten kehren die Raubgräber im Morgengrauen mit guter Beute nach Hause zurück. Denn auf den ertragreichen Schwarzerdeböden nahe des Harzes lebten schon in der Bronzezeit Menschen von Ackerbau und Erzhandel. Fürstengräber wie in Leubingen oder Helmdorf zeugen von dem frühen Wohlstand (siehe Infokasten).

Eine Nacht im Jahr 1998. Ausgerüstet mit Metalldetektoren machen Hobbyarchäologen in der Nähe von Sangerhausen am Ostrand des Harzes einen erstaunlichen Fund: Sie bringen zwei Bronzeschwerter mit goldenen Griffklammern, zwei Randleistenbeilen, einen Meißel und einige bronzene Armreife ans Licht.

Ein Objekt des Schatzes aber stellt alle anderen Fundstücke in den Schatten: Eine Bronzescheibe, zwei Kilogramm schwer, 30 Zentimeter im Durchmesser. Auf ihrer dunkelgrünen Oberfläche sind Sonne, Mond und Sterne in Gold dargestellt. Die Scheibe ist, wie sich später herausstellen wird, einer der bedeutendsten Funde für die alteuropäische Kulturgeschichte. Sie sagt nämlich nicht nur etwas über die astronomischen Vorstellungen aus, die die Menschen in der Bronzezeit offenbar schon hatten. Sie könnte auch als eine Art Uhr für die Erntezeit benutzt worden sein.

Doch anstatt den Fund dem Bundesland Sachsen-Anhalt zu melden, dem laut Gesetz sämtliche archäologischen Ausgrabungsstücke seines Gebietes gehören, verkaufen die glücklichen Finder ihre Schatzkollektion für 15 000 Euro an Mittelsmänner. Die einzigartigen Kostbarkeiten, vermutlich Grabbeigaben, verschwinden daraufhin für einige Monate im Tresor.

Fingierte Übergabe in Hotelbar

Ein Jahr später. Die Mittelsmänner fangen an, die Bronzescheibe auf dem archäologischen Markt anzubieten. „Zwei Herren aus Köln und München kamen mit schlechten Fotos und verlangten 500 000 Euro“, sagt Wilfried Menghin, Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte in Berlin. Menghin hat allerdings kein Interesse an Hehlerware: Er meldet den Fall dem Landeskriminalamt von Sachsen-Anhalt.

Aber die Verkaufsversuche haben die Archäologiegemeinde nun geweckt, es rumort. Eine Museumspädagogin, 47, Besitzerin eines archäologischen Erlebnisrestaurants in Kaarst bei Neuss tritt mit den Mittelsmännern in Kontakt und vermittelt den Verkauf der Bronzescheibe für 350 000 Euro an einen Oberstudienrat aus Neuss.

Gleichzeitig wenden sich die Gastronomin und der Oberstudienrat an Harald Meller, den Landesarchäologen von Sachsen-Anhalt. Meller nämlich will die Bronzescheibe für Sachsen-Anhalt erwerben – behauptet er. In Wahrheit hat er die Polizei und das Landeskriminalamt von Sachsen-Anhalt eingeschaltet. Im Februar dieses Jahres treffen sich beide Parteien in einer Hotelbar in Basel. Bei der fingierten Übergabe schlägt die Polizei zu und nimmt die Frau und den Oberstudienrat fest.

Später, im April, wird die Bronzescheibe – inzwischen auf ihre Echtheit getestet – für zwei Wochen im Landesmuseum für Vor- und Frühgeschichte in Halle ausgestellt. In dieser Zeit sehen 15 000 Besucher die Scheibe.

Was aber ist an dieser Scheibe, hinter der offenbar alle her sind, nun so Besonderes? „Sie ist ein Jahrhundertfund“, sagt der Experte Meller. „Dies ist die erste und einzige Darstellung des Kosmos im vorgeschichtlichen Europa.“ Ähnlich begeistert ist Wolfhard Schlosser, Archäologe an der Ruhr-Universität Bochum: „Die Scheibe ist eine Art Hubble-Weltraumteleskop in den frühzeitlichen Sternenhimmel.“ Seiner Ansicht nach stellt die Gruppe von Sternen auf dem Exponat die Plejaden (Siebengestirn) dar.

Um 1600 vor Christus – als die Scheibe entstanden sein muss – war das Sternbild der Plejaden nur im Herbst zu beobachten. Die Scheibe könnte von Priesterkönigen verwendet worden sein, um die Plejaden – und damit den Beginn der Ernte – am Himmel wieder zu erkennen. „Die Scheibe ist ein Hinweis darauf, dass die Menschen damals fähig waren, saisonale Rückschlüsse aus Sternenbeobachtungen zu ziehen“, sagt Alix Hensel, Bronzezeitexpertin am Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte.

Das sieht freilich nicht jeder so. „Die Bronzescheibe ist sicherlich ein bemerkenswertes Objekt, aber in Bezug auf seine astronomische Aussage ist sie sehr primitiv“, sagt Owen Gingerich, Astronomie-Experte vom Harvard-Smithsonian-Center für Astrophysik in Cambridge. In der Anordnung der Sterne seien keine Muster zu erkennen, und nichts deute auf die Plejaden hin.

Immerhin zeigt der Fund, dass die astronomischen Vorstellungen der frühzeitlichen Menschen in Mitteleuropa fundierter waren als bisher vermutet. Nun soll die Bronzescheibe vom Landesamt für Archäologie in Sachsen-Anhalt untersucht werden, ein Jahr lang. Vielleicht wird sich dann herausstellen, mit was für einem Schatz wir es hier wirklich zu tun haben.

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