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Gesundheit: Unis im Goldrausch

Die Hochschulen sollen sich alle Studierenden selbst aussuchen dürfen – doch was wird aus denen, die keiner will?

Läutet das Totenglöckchen über der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS), der meistgehassten Behörde unter Hochschulreformern? Der Wissenschaftsrat will heute seine Empfehlung öffentlich machen, der Gesetzgeber möge den Hochschulen in Numerus clausus-Fächern ein „umfassendes Auswahlrecht“ zugestehen. Wird die Auswahl der Studierenden aber allein in die Hände der Hochschulen gelegt, muss die Behörde in Dortmund nicht mehr die Bewerber in den bundesweit überlaufenen Fächern nach Quote über die Republik verteilen, wie sie es seit über 30 Jahren macht.

Unter den Hochschulen würde ein aggressiver Wettbewerb um die am besten geeigneten Studienanfänger einsetzen, eine Goldgräberstimmung, in der jeder die Nuggets aus dem Sieb fischen, den Kies aber zurück in den Fluss schleudern würde. Der Vorschlag des Wissenschaftsrats geht insofern weiter als der der Kultusminister. Die hatten sich im Frühjahr darauf geeinigt, den Ländern freizustellen, ob ihre Hochschulen 25 oder 50 Prozent ihrer Studenten auswählen dürfen. Nun gibt es keine Quoten, die ZVS ist also überflüssig. Wenn eine bayerische Hochschule ein Einser-Abitur einer Bremer Gesamtschule nicht ernst nimmt, könnte sie sich in einem Auswahlgespräch lieber für einen Kandidaten mit einem Durchschnitt von 2,8 eines Baden-Württemberger Gymnasiums entscheiden. Studierende, die keiner will, hätten Pech.

Was das Abitur zählt

Wird so die Zukunft aussehen? Vieles spricht dagegen. Das beginnt damit, dass die Empfehlung des Wissenschaftsrats noch einen zweiten Teil hat: Das Recht der Hochschulen, ihre Kandidaten auszuwählen, soll zwar gestärkt werden. Doch den Abiturbesten muss ein Studienplatz garantiert werden, die Abiturnote soll bei der Auswahl eine entscheidende Rolle spielen – so wie es jetzt bei der Verteilung durch die ZVS der Fall ist.

Es wird also keine völlige Entwertung der Abiturnote geben, bestenfalls eine Relativierung. Das war der Wunsch der SPD-geführten Länder. Aber auch wichtige verfassungsrechtliche Bedenken sprechen dafür, das Abitur und seine Note nicht völlig zu degradieren. Das Abitur ist den Landesgesetzen nach die Eintrittserlaubnis zur Hochschule. Das weiß auch der Wissenschaftsrat. Darum fordert er jetzt auch das Zentralabitur in den Bundesländern und bundesweite Standards: Die große Rolle, die das Abitur in Deutschland nun einmal hat, soll inhaltlich gerechtfertigt sein, indem für Vergleichbarkeit gesorgt wird. Der Gesetzgeber wird sich nun überlegen müssen, in welchem Verhältnis die Abiturnote zu anderen Kriterien gewichtet werden kann – etwa den Ergebnissen von Auswahlgesprächen. Bisher sind die Hochschulen auch bei den 24 Prozent der NC-Studenten, die sie sich aussuchen dürfen, fast nur nach der Abiturnote gegangen. Denn für eine intensivere Kandidatenschau fehlte das Personal.

Was geschieht in Zukunft, wenn eine Abiturientin sich um einen Studienplatz in Medizin bewirbt, aber weder eine gute Abiturnote hat noch auf Grund anderer Kriterien von einer Uni als Studentin begehrt wird? Heißt das, sie kann nie Ärztin werden? Das Recht der Hochschulen, ihre Studierenden selbst auszusuchen wird auch hier an seine Grenzen stoßen müssen. In Deutschland garantiert das Grundgesetz die Freiheit der Berufswahl. Darum hat das Bundesverfassungsgericht Anfang der 70er Jahre geurteilt, es sei am Rande des verfassungsrechtlich Hinnehmbaren, den Zugang zur Hochschule mit NCs zu beschränken, und es hat dafür strenge Auflagen erteilt. Die jetzige Quote für Studierende mit Wartesemestern garantiert, dass auch schwache Abiturienten nicht an ihrer freien Berufswahl gehindert werden. Der Wissenschaftsrat schlägt den Hochschulen auch vor, in Zukunft Studierenden aller Fächer nach einem Jahr einer Eignungsprüfung zu unterziehen. Was aber geschieht mit gescheiterten Kandidaten? Kann man ihnen verwehren, es in einem anderen Fach oder an einer anderen Uni zu versuchen?

Nach der Quote ist vor der Quote

Edelgard Bulmahn, die Bundesbildungsministerin, hat zum ersten Mal vor drei Wochen gesagt, ihr sei die Existenz der ZVS egal. Sie hat aber klargestellt, sie behalte sich vor, Zulassungsfragen im Hochschulrahmengesetz zu regeln. Dort werden aber bislang eben jene Quoten festgelegt, nach denen die ZVS die Studierenden verteilt. Dabei spielen verschiedene soziale Aspekte eine Rolle, auf die der Sozialstaat und erst recht eine sozialdemokratische Regierung nicht verzichten werden.

Eine völlige Freiheit in der Auswahl der Studierenden wird es also auch in Zukunft nicht geben. Vielleicht macht Baden-Württemberg seine Drohung wahr und steigt aus dem Staatsvertrag über die ZVS aus. Aber auch dann bliebe der Grund für die Existenz der ZVS bestehen: Es gibt zu wenig Studienplätze, um die Nachfrage befriedigen zu können. Eine Behörde wird gebraucht, die den Mangel nach transparenten und möglichst sozial gerechten Kriterien verwaltet – und neuerdings dann zusätzlich den Hochschulen bei der Auswahl der Studenten hilft.

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