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Zwei für Europa: US-Präsident Joe Biden und Kanzler Olaf Scholz öffnen den Weg für die Lieferung westlicher Kampfpanzer an die Ukraine.

© Foto: AFP/Kevin Lamarque

Happy Tanks-Giving: Die Panzerdebatte beschert Europa einen historischen Moment

Erst als die USA eigene Panzer liefern, besinnt sich Europa auf seine eigenen Kräfte. Und reduziert seine Abhängigkeit von den USA. Das wird Folgen haben. Eine Analyse.

Europa darf den USA dankbar sein, dass sie Abrams-Kampfpanzern an die Ukraine liefern wollen. Denn erst dadurch kommt die viel wichtigere Leopard-Lieferung in Gang. Und die zeigt den Weg, wie Europa weniger abhängig von den USA wird.

Der Kurswechsel ist US-Präsident Joe Biden vor allem deshalb hoch anzurechnen, weil militärtechnisch vieles dagegen sprach. Der Abrams kann in der Ukraine nicht sinnvoll eingesetzt werden; dazu später.

Biden macht Europa handlungsfähig

Politisch hingegen ist die Entscheidung äußerst hilfreich. Sie macht den Weg frei – aber nicht nur für die Kehrtwende der deutschen Regierung unter Kanzler Olaf Scholz, die bisher keine Leoparden liefern wollte, ja nicht einmal europäischen Verbündeten gestatten wollte, Leos aus ihren Beständen zu liefern.

Der Blick allein auf Deutschland wäre zu klein gedacht. Historisch ist dieser Moment, weil nun der Weg für eine europäische Gemeinschaftsleistung frei wird.

Im Idealfall haben die USA eine Entwicklung in Gang gesetzt, die Europas Abhängigkeit von den USA verringern wird. Und die den Weg zu dem Ziel beschleunigt, dass Europa seine Sicherheit irgendwann aus eigener Kraft garantieren kann.

Es geht auch um Wartung, Munition, Ersatzteile

Darum geht es jetzt nämlich in Sachen Leopard: ein Gesamtpaket aus der Lieferung der Panzer, ihrer Wartung samt dem Aufbau von Werkstätten nahe der Kampfzonen, der regelmäßigen Nachlieferung von Ersatzteilen und Munition, des Trainings ukrainischer Soldaten und vieles mehr. Das kann kein einzelnes Land leisten, das können auch nicht eine Handvoll. Dazu bedarf es einer europäischen Gesamtanstrengung.

Formal ist die Entscheidung eine nationale, ob ein Land Panzer abgibt oder sich auf andere Weise an dem nun nötigen Gesamtpaket beteiligt. Doch die Debatten, die nun einsetzen, werden im besten Fall zu einer europäischen Lernerfahrung führen: Wir können es nur gemeinsam.

Der Leopard ist ein europäischer Panzer. Knowhow, Wartung, Training sind über Europa verteilt.

Jana Puglierin, Leiterin des Berliner Büros des European Council on Foreign Relations (ECFR)

Der Leopard ist nur auf den ersten Blick ein deutscher Panzer. In Wahrheit ist er ein europäischer Panzer, betont Jana Puglierin, Leiterin des Berliner Büros des European Council on Foreign Relations (ECFR) . Er gehört zu den wenigen Kriegsgeräten, die sehr viele europäische Nato-Staaten nutzen.

Das hat zur Folge, dass sehr viele europäische Staaten aus ihren Beständen an die Ukraine abgeben können. Aber auch die Fähigkeit haben, Ukrainer an diesem Panzer auszubilden – nicht nur für den Einsatz, sondern auch für Wartung und Reparatur. Und bei Bedarf Ersatzteile und Munition abgeben können.

Diese europaweite Kompetenz gibt es bei keinem anderen Panzer: nicht beim amerikanischen Abrams, nicht beim britischen Challenger, nicht beim französischen Leclerc.

Kein europäisches Land hat den Abrams bereits im Einsatz. Es wird ewig dauern, bis er in der Ukraine oder nahe der Ukraine so verlässlich in Betrieb gehalten werden kann wie der Leo.

Deutschland ist die Leopard-Nation.

Boris Pistorius, Bundesverteidigungsminister

Nach dem wichtigen ersten Schritt – Olaf Scholz und Joe Biden haben den Weg zur gesamteuropäischen Leo-Lieferung geöffnet – muss Deutschland nun einen zweiten, ebenso entscheidenden tun: die gemeinsame europäische Leopard-Hilfe koordinieren.

Deutschland ist die „Leopard-Nation“. Die heimische Industrie ist der Hersteller. Berlin muss die EU-Partner als potenzielle Lieferanten mit den Rüstungsmanagern und den Verantwortlichen für Training, Wartung und Nachschub von Ersatzteilen und Munition zusammenbringen. Eine Aufgabe für den neuen Verteidigungsminister Boris Pistorius.

Nationale Vetorechte müssen fallen

Der lange und konfliktreiche Prozess hat ein weiteres Manko der gemeinsamen europäischen Sicherheitspolitik in den Fokus gerückt: die nationale Hoheit über Exportgenehmigungen. Sie hindert willige Helfer am Handeln. Polen und Finnland durften ohne Berlins Genehmigung keine Leos aus ihren Panzerbeständen an die Ukraine abgeben.

Zuvor war Deutschland selbst Opfer solcher Abhängigkeiten. Es gab der Ukraine Gepard-Luftabwehrpanzer, konnte aber den Nachschub an Munition nicht garantieren. Die wird in der Schweiz produziert, und die verweigerte die Exportgenehmigung.

Gewiss, Nato und EU sind freiwillige Bündnisse von Nationalstaaten, die ihre Souveränität nicht aufgegeben, sondern nur partiell eingeschränkt haben. Doch das nationale Denken in Vetorechten ist ein riesiges Hindernis auf dem Weg zu europäischer Handlungsfähigkeit.

Es ist schlicht nicht praktikabel, dass Deutschland oder ein anderes Land Partner an der freien Verfügung von Einzelteilen eines arbeitsteilig hergestellten Waffensystems hindern darf, weil es an der Herstellung dieses Guts beteiligt war.

Zwar wird Deutschland die Rechtsgrundlagen wohl kaum ändern: das Kriegswaffenkontrollgesetz oder bei der Zustimmung zu Einsätzen gemischter Einheiten den Parlamentsvorbehalt. Aber das Bewusstsein für den Umgang mit solchen Genehmigungsfragen kann und muss sich ändern.

Wenn ein Land sich an einem multinationalen Rüstungsprojekt beteiligt – oder an einer multinationalen Einheit wie der Awacs-Luftüberwachung –, hat es sein Vetorecht mit dieser Grundentscheidung aufgegeben oder zumindest stark eingeschränkt. Denn warum sollten sich die Partner am Bau gemeinsamer Panzer oder Flugzeuge beteiligen oder gemeinsame Einheiten aufstellen, wenn sie darüber nicht verfügen dürfen, sobald ihnen das essenziell erscheint?

Eine solche Selbstverpflichtung hatte die so genannte Rühe-Kommission des Verteidigungsministeriums unter dessen früherem Chef Volker Rühe bereits 2015 gefordert: Der Bundestag solle jedes Jahr eine Sitzung zur Frage ansetzen, an welchen Kooperationsprojekten Deutschland beteiligt sei, um das Bewusstsein dafür zu schärfen, wo Deutschland sein Einspruchsrecht bereits eingeschränkt habe.

Wenn beides jetzt zusammenkommt – Leos für die Ukraine als ein europäisches Projekt unter deutscher Führung und ein neues Bewusstsein für die Grenzen nationaler Vetorechte – dann hätte Europas Souveränität in der Verteidigung einen kaum zu überschätzenden Fortschritt erreicht.

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