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Tourists on amphibian boat tour at Jökulsrln / Joekusarlon in summer, glacial lake in southern part of Vatnajökull National Park, southeast Iceland 333DZLXY

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Die Krisen der Welt: Was der Ukraine-Krieg mit dem Klima zu tun hat

Die Welt verändert sich in rasantem Tempo, aktuell geht der Blick vor allem in die Ukraine. Dabei liegt die wichtigste Krise woanders, sagt George Soros.

Unsere Welt verändert sich in rasantem Tempo. So schnell, dass die Prognosen, die ich vergangenen Monat bei einer Rede am Vorabend der Münchner Sicherheitskonferenz traf, sich zum Teil schon bestätigt haben. Die gravierendsten Veränderungen betreffen dabei den Klimawandel.

Meine wichtigste Botschaft in München war: Das weltweite Klima ist stark von dem abhängig, was in der nördlichen Polarregion passiert. Bisher wurde das dortige Klimasystem meist getrennt vom globalen betrachten. Früher wehten die Winde in vorhersehbarer Richtung gegen den Uhrzeigersinn. Doch wegen zunehmender menschlicher Eingriffe in die Natur ist diese Trennung zwischen dem arktischen und dem Klima im Rest der Welt nicht mehr gegeben.

Tatsächlich strömt nun kalte Luft aus der nördlichen Polarregion heraus und wird durch warme, aus anderen Regionen angesaugte warme Luft ersetzt. Folglich hat sich die Arktis in den vergangenen vier Jahrzehnten viermal schneller erwärmt als der Rest der Welt, und die Geschwindigkeit dieser Erwärmung nimmt bedrohlich zu.

Immer mehr Forschende fänden es angebracht, den Klimanotstand auszurufen.

George Soros, Gründer und Vorsitzender der Open Society Foundations

Seit meiner Rede sind die Temperaturen in der Polarregion um mehr als 20 Grad über den Normalwert gestiegen. Das hat zu neuen Temperaturrekorden geführt und die Besorgnis über das Tempo des Abschmelzens des grönländischen Eisschilds verstärkt. Es wäre wichtig, dass das Klimaproblem wieder weiter in den Vordergrund rückt. Dafür muss sich aber erst mal ein anderes Problem lösen.

Zumindest hat das wissenschaftliche Verständnis des Erwärmungsprozesses große Fortschritte gemacht. Immer mehr Forschende fänden es angebracht, den Klimanotstand auszurufen. Denn die globale Erwärmung wird bei der derzeitigen Geschwindigkeit zwangsläufig den Wert von 1,5 Grad überschreiten.

Wichtige Veränderungen gab es in den vergangenen Monaten auch in Russlands Krieg gegen die Ukraine. Bis Oktober war die Ukraine auf dem Schlachtfeld siegreich. Dann setzte Russland mit Hilfe des Irans in großem Stil Drohnen ein. Ziel war es, die ukrainische Zivilbevölkerung von der Versorgung mit Strom, Heizung und Wasser abzuschneiden und die Durchhaltemoral der Menschen zu untergraben. So geriet die Ukraine in die Defensive.

Auf russischer Seite aber entwickelten sich zuletzt Flügelkämpfe zwischen der regulären russischen Armee und Jewgeni Prigoschins berüchtigter Söldnerarmee, der Wagner-Gruppe. Die reguläre Armee Russlands befindet sich in einer desolaten Lage. Sie ist schlecht geführt, miserabel ausgerüstet und hochgradig demoralisiert. Zu ihrem Missfallen schaffte es die Wagner-Gruppe, Gebiete um die Stadt Bachmut zu erobern, während sie selbst nicht weiterkam oder anderswo an Boden verlor. Die Armee fühlte sich von der Wagner-Gruppe bedroht und begann einen bürokratischen Krieg, den sie auch gewann.

Die Ukraine profitiert von diesen russischen Flügelkämpfen. Präsident Wolodymyr Selenskyj beriet sich mit den Befehlshabern seiner Armee. Diese empfahlen einstimmig, die Söldnertruppe Prigoschins durch den sprichwörtlichen Fleischwolf zu drehen, solange sie so geschwächt ist.

20
Grad über dem Normalwert liegt die Temperatur in der Polarregion.

Erhalten sie die ihnen versprochenen modernen Waffen – insbesondere die Leopard-2-Panzer –, sind die ukrainischen Streitkräfte in der Lage, einen Gegenangriff zu starten. Das sollte etwa im Mai erfolgen, könnte aber auch früher der Fall sein.

Eine ukrainische Frühjahrsoffensive als entscheidende Wende

Die meisten der von mir in München hinsichtlich des Krieges getroffenen Vorhersagen – darunter auch, dass eine massive ukrainische Frühjahrsoffensive für eine entscheidende Wende sorgen wird - werden also wahrscheinlich eintreten. Putin möchte unbedingt einen Waffenstillstand, will es aber nicht zugeben. Der chinesische Präsident Xi Jinping sitzt im selben Boot.

Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass US-Präsident Joe Biden diese vermeintliche Gelegenheit zur Aushandlung eines Waffenstillstands ergreift, hat er doch zugesagt, dass die USA nicht hinter Selenskyjs Rücken verhandeln werden.

Die auf die Wahrung ihrer Unabhängigkeit erpichten Länder des ehemaligen Sowjetimperiums können es kaum erwarten, dass die russische Armee in der Ukraine vernichtet wird. Dann wird Putins Traum von einem wiedererstandenen russischen Imperium platzen und keine Bedrohung mehr für Europa darstellen.

Die Niederlage des russischen Imperialismus wird weitreichende Folgen haben. Für offene Gesellschaften wird dies eine enorme Erleichterung bedeuten, für geschlossene Gesellschaften hingegen immense Probleme mit sich bringen. Vor allem aber wird diese Entwicklung der Welt ermöglichen, sich auf ihr größtes Problem zu konzentrieren: den Klimawandel.

© Project Syndicate 2023

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