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EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen müssen gemeinsam mit den europäischen Staats- und Regierungschefs eine einheitliche Linie beim Thema Naher Osten entwickeln.

© Reuters/YVES HERMAN

Gipfel in Krisenzeiten: Europa muss im Nahen Osten aktiv werden

Die Instabilität der Region birgt hohe Risiken für Europa. Deshalb sollten wir uns endlich mit eigenen Initiativen einbringen. Dafür gibt es zahlreiche Optionen, meint Daniela Schwarzer.

Ein Gastbeitrag von Daniela Schwarzer

Stand:

Wenn die Staats- und Regierungschefs ab Donnerstag zum Europäischen Rat zusammenkommen, wird auch nach dem Natogipfel die europäische Sicherheit das zentrale Thema sein – allerdings nicht nur mit Blick auf Russland.

Der Krieg zwischen Israel und dem Iran hat so deutlich wie selten gezeigt, worin Europas Herausforderung besteht. Die Lage im Nahen Osten bleibt aufgrund schwer berechenbarer Akteure, inklusive der USA, äußerst gefährlich.

Das ändert sich auch nicht dadurch, dass der Iran nach dem Kriegseinstieg der USA nur gesichtswahrend zurückgeschlagen und nicht eskaliert hat und der US-Präsident daraufhin das Ende eines „Zwölftagekriegs“ ankündigte.

USA verfolgen keine klare Linie

Die Instabilität im Nahen und Mittleren Osten hat unmittelbare Auswirkungen auf Europa. Neben erhöhten Sicherheitsrisiken, Blockaden von Seewegen und möglichem Migrationsdruck geht es um die Frage, ob internationales Recht und Verträge als Grundlage internationaler Ordnungsstrukturen weiter an Glaubwürdigkeit verlieren.

Die wichtigsten europäischen Staaten, besonders Deutschland, Frankreich und Großbritannien, sowie die EU sollten sich daher stärker in der Region engagieren.

Das gilt gerade, weil die USA ihr Engagement im Nahen Osten weder mit Europa abstimmen noch eine klare Linie verfolgen: Mehrmals hat Donald Trump seine Strategie verändert und ist schließlich überraschend in den Krieg eingestiegen.

Europa kann und sollte, anders als der US-Präsident dies vermutlich tun würde, ein langfristiges Ziel und eine Strategie für die komplexe Region entwickeln.

Daniela Schwarzer

Dass Trump keinen Mehrwert darin sieht, sich mit den Europäern zum Nahen Osten und insbesondere zum Iran auszutauschen, ist seit seiner unilateralen Aufkündigung des Iran-Atomabkommens im Jahr 2018 bekannt. Auch heute stimmt er sich enger mit Israel, den Golfstaaten und möglicherweise sogar Russland ab als mit den europäischen Alliierten.

Europa kann und sollte, anders als der US-Präsident dies vermutlich tun würde, ein langfristiges Ziel und eine Strategie für die komplexe Region entwickeln. Vorbild dafür könnte die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) sein.

Europa sollte eine Strategie für den Nahen Osten entwickeln

Das klingt gerade angesichts der fragilen Lage hoch gegriffen, könnte aber die regionalen Akteure zu einer Diskussion über ihre gemeinsame Zukunft zusammenbringen. Der Iran müsste auf ein militärisches Nuklearprogramm verzichten, sein Raketenprogramm abbauen und aufhören, die Verbundmilizen zu unterstützen, die weiterhin eine unberechenbare Gefahr in der Region darstellen.

Israel müsste von allen Staaten im Nahen Osten anerkannt und die Zweistaatenlösung mit Palästina implementiert werden. Internationales Recht muss durchgesetzt und friedlichen Konfliktbeilegungsmechanismen wieder zu Geltung verholfen werden.

Kurzfristig sollten die wichtigsten EU-Staaten Donald Trump überzeugen, in Washington eine Konfliktbeilegungskonferenz einzuberufen, an der neben Israel, Iran und Palästina auch der Golf-Kooperationsrat sowie die Türkei, der Irak, Jemen, Jordanien, Syrien, Libanon und Ägypten beteiligt sein sollte. Das könnte der Auftakt für eine Nahost-Version der seinerzeit erfolgreichen KSZE sein.

Mit wem Deutschland und Europa kooperieren könnten

Deutschland könnte auch seine zunehmend enge Kooperation mit Japan nutzen, um eine derartige Friedensinitiative auf den Weg zu bringen. Beide Partner eint der Fokus auf diplomatische Konfliktlösung, das Interesse an einer Rückkehr zu regelbasierten Ordnungen und einer gestalterischen Rolle an der Seite der USA.

Besuch in Japan: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier reiste erst in der vergangenen Woche nach Tokio und traf auf Japans Premier Shigeru Ishiba.

© Imago/ZUMA Press Wire/POOL

Mit dem Golf-Kooperationsrat (GCC) – dem Zusammenschluss von sechs der sieben Staaten der Arabischen Halbinsel – sollte Europa noch enger für Deeskalation und Konfliktlösung kooperieren. Gerade auch mit Blick auf den Umgang mit dem US-Präsidenten ist Kräfte bündeln angesagt, da er kein Interesse an komplizierten multilateralen Settings hat.

Europa steht vor einer doppelten Herausforderung: einer unberechenbaren Konfliktlage in seiner südlichen und östlichen Nachbarschaft und einem schwer vorhersehbaren Allianzpartner USA.

Daniela Schwarzer

Eine europäische Troika aus Deutschland, Großbritannien und Frankreich sollte mit dem GCC koordiniert auftreten. Neben der Beilegung des israelisch-palästinensischen Krieges und dem Umgang mit dem Iran geht es darum, Handelsrouten und konkrete wirtschaftliche Modernisierungsprojekte zu schützen, an denen Akteure weit über die Region hinaus Interesse haben und sich einbringen könnten.

Unter den EU-Mitgliedstaaten sind zwei zentrale Streitpunkte zu klären: Erstens sollte die Hohe Vertreterin Kaja Kallas die Einigung über den EU-Pakt für den Mittelmeerraum und Nahen Osten vorantreiben, über den die Vorstellungen in den Hauptstädten noch immer auseinandergehen.

Zweitens braucht es eine gemeinsame Haltung der Mitgliedstaaten zum Israel-Gaza-Krieg mit einem Fokus auf humanitäre Hilfe, konkrete Schritte für ein Kriegsende und eine Zwei-Staaten-Lösung.

Europa steht vor einer doppelten Herausforderung: einer unberechenbaren Konfliktlage in seiner südlichen und östlichen Nachbarschaft und einem schwer vorhersehbaren Allianzpartner USA. Die Antwort auf diese Herausforderung müssen noch entschiedenere Maßnahmen zur Stärkung der eigenen Sicherheit und der eigenen Gestaltungskraft in ihrer Nachbarschaft sein.

Gelingt dies nicht, gestalten andere die neuen Realitäten – sowohl in Osteuropa als auch im Nahen Osten.

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