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Waffenhilfe, Resolutionen, Palästinenserstaat: „Deutschland ist in der Israel-Politik nicht isoliert“
Staats- und Regierungschefs benutzen in der Nahostpolitik große Worte, handeln dann aber vorsichtiger, als sie reden, sagt Konfliktforscher Stephan Stetter. Kanzler Merz agiere energischer als Vorgänger Scholz.
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Läuft Deutschland Gefahr, sich mit einer pro-israelischen Politik, den Waffenlieferungen und dem Zögern bei der Anerkennung eines palästinensischen Staats in Europa zu isolieren? Dieser Vorwurf ist durch die Realität nicht gedeckt, „Deutschland ist nicht isoliert“, sagt Stephan Stetter, Professor für Internationale Politik und Konfliktforschung an der Universität der Bundeswehr München.
Waffenlieferungen an Israel stoppen? So pauschal geht das nicht.
Stephan Stetter, Konfliktforscher an der Universität der Bundeswehr München.
Das Nebeneinander von „großen Worten und einer kleinteiligen Mikado-Politik in der Realität“ treffe auf die Nahost-Politik der meisten Staaten zu, erläutert Stetter. „Alle beobachten sich gegenseitig: Wer macht was? Und alle handeln oft vorsichtiger, als sie reden.“
1 Ablehnung der britischen Resolution
Deutschland stand nicht allein, als es die von Großbritannien initiierte Resolution mit der Forderung nach einem sofortigen Ende des Gazakriegs und dem unbehinderten Zugang der Zivilbevölkerung zu Hilfslieferungen nicht unterzeichnete. Zehn der 27 EU-Staaten handelten so: Bulgarien, Deutschland, Griechenland, Kroatien, Malta, Rumänien, die Slowakei, Tschechien, Ungarn und Zypern.
Sie hatten „unterschiedliche Motive“, analysiert Stetter. Bei der Slowakei und Ungarn, die als „illiberale Demokratien“ betrachtet werden müssen, sieht er eine „ideologische Nähe“ zur Regierung des israelischen Premiers Benjamin Netanjahu. Hinzu komme bei vielen östlichen EU-Mitgliedern die „Rücksichtnahme auf den Israel-Freund Donald Trump“.
Es gebe aber „keine festgefahrenen Konstellationen“ von Israel-Kritikern und Israel-Freunden, betont Stetter. „Es geht kreuz und quer“ bei der jeweiligen Haltung zur Resolution und der Anerkennung eines Staates Palästina.
Malta hat die Resolution nicht unterzeichnet, will aber den palästinensischen Staat anerkennen. Die östlichen EU-Staaten haben die palästinensische Staatlichkeit schon zu Sowjetzeiten anerkannt, als sie offiziell im Bündnis mit Moskau waren, blieben aber auf Distanz zur britischen Resolution.
Der Begriff Staatsräson ist nicht klar definiert, hat sich verselbstständigt und ist nicht hilfreich.
Stephan Stetter, Konfliktforscher an der Universität der Bundeswehr München.
Dass „Deutschland gegenüber Israel vorsichtiger auftritt als andere, hat gute Gründe und wird auch international verstanden“, meint der Konfliktforscher. Die Festlegung, dass die Sicherheit und das Existenzrecht Teil der deutschen Staatsräson seien, hält er aus anderen Gründen für problematisch. Der Begriff „Staatsräson“ ist „nicht klar definiert, hat sich verselbstständigt und ist nicht hilfreich“.
2 Vorwurf der Doppelmoral
Das eigentliche Ziel der politischen Kräfte, die den Verweis auf die Staatsräson kritisieren, sei jedoch oft, den Kurs der deutschen Israelpolitik zu verändern. „Das geht einher mit dem Vorwurf der Doppelmoral und doppelter Standards bei der Anwendung des Völkerrechts.“ Natürlich gehöre die Durchsetzung des Völkerrechts zu den Kerninteressen deutscher Politik, und Deutschland solle dies „auch in seiner Israelpolitik zu einem zentralen Marker machen“. Der Vorwurf der doppelten Standards bei seiner Anwendung „trifft jedoch in der Nahost-Politik auf ganz viele zu“.
Die Hamas hat keinen Platz in der Friedensordnung. Auch arabische Staaten fordern jetzt offen ihre Entwaffnung. Das ist positiv.
Stephan Stetter, Konfliktforscher an der Universität der Bundeswehr München.
„Deutschland verschließt nicht die Augen vor dem Leid der Palästinenser. In den Beziehungen zu Palästina und den arabischen Staaten ist aber durchaus eine Krise zu konstatieren, die nicht im deutschen Interesse liegt“, urteilt Stetter. „Kanzler Merz agiert da viel energischer als sein Vorgänger Scholz. Vor allem zeigt Merz mehr Bereitschaft, sich mit den Partnern in Europa abzustimmen.“ Und zu überlegen, „wie man die USA überzeugt, sinnvoll Druck auch auf Israel auszuüben“.
3 Waffenlieferungen an Israel stoppen?
Im Streit, ob Deutschland die Waffenlieferungen an Israel einstellen solle, sieht der Wissenschaftler ebenfalls eine widersprüchliche Gemengelage. „So pauschal geht das nicht“, sagt Stetter zu Forderungen nach einem Stopp deutscher Waffenlieferungen an Israel. „Einschränken, um Druck auf Israel auszuüben und einen Waffenstillstand zu erreichen, das kann man überlegen. Aber Deutschland kann Israel nicht Waffen vorenthalten, die es braucht, wenn sein Existenzrecht bedroht ist.“
Internationale Koalition schützt Israel militärisch
Auch militärisch gebe es keine festen Lager. „Bei den Luftangriffen des Iran auf Israel hat eine internationale Koalition die Raketen abgefangen. Daran beteiligten sich neben westlichen Staaten auch arabische Staaten militärisch und durch Aufklärung.“
4 Anerkennung des Staats Palästina
Und was kann Deutschland in dieser widersprüchlichen Lage tun? „Wenn Israel den Krieg unbeirrt weiterführt, muss Deutschland die palästinensische Seite stärken. Hierzu könnte es sich durchaus den Ankündigungen Frankreichs, Großbritanniens, Kanadas und anderer anschließen, Palästina als Staat anzuerkennen, auch wenn klar sein muss, dass dies diplomatische Bedeutung hat, die Lage vor Ort aber erst einmal nicht ändert. Man muss dann aber auch klar sagen und garantieren: Die Hamas hat keinen Platz in der Friedensordnung. Auch arabische Staaten fordern jetzt offen die Entwaffnung der Hamas. Das ist positiv.“
Manche Staaten, darunter Kanada, benutzten die potenzielle Anerkennung Palästinas zudem nicht in erster Linie, um Israel zu drohen, beobachtet Stetter. Sondern sie knüpfen sie umgekehrt an Bedingungen, um Fortschritte zu erreichen: Die palästinensische Seite müsse Reformen einleiten, bevor eine Anerkennung möglich werde.
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