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Kultur: 100 Tage George W. Bush: "Der Präsident ist in der Lernkurve"

Steven E. Sokol (35) ist stellvertretender Direktor des Aspen-Instituts in Berlin.

Steven E. Sokol (35) ist stellvertretender Direktor des Aspen-Instituts in Berlin. Der Amerikaner ist Spezialist für transatlantische Beziehungen.

Wissen die Amerikaner nach 100 Tagen Amtszeit schon, wer George W. Bush ist?

Es gibt mit Sicherheit erste Tendenzen, die seine Politik charakterisieren, aber es herrschen noch Lücken vor. Das Prinzip des "compassionate conservatism", "mitfühlenden Konservatismus", ist klarer geworden als während des Wahlkampfes. Man merkt, es ist alles konservativer als gedacht.

Steht Bush da in republikanischer Politiktradition der 80er Jahre unter Ronald Reagan?

Es gibt mit Sicherheit Anknüpfungspunkte, die man berücksichtigen muss. Ich würde es aber nicht als Fortsetzung des Reagan-Kurses einschätzen. Diese Rückkehr in mancher Hinsicht zu bürgerlichen Werten oder moralischen Werten ist immer sehr an den Begriff "familiy values", familiäre Werte, gebunden, auch wenn der Begriff überinterpretiert wird. Darin gibt es eine Kontinuität. Aber ich glaube nicht, dass das zusammenhängt mit einer bestimmten Periode oder Politik. Der Tagesspiegel hat ja kürzlich über Bush und das Buch von Myron Magnet ("The Dream and the Nightmare") geschrieben, das ihn so sehr geprägt hat. Bush sagte, dass das Buch für ihn deutlich machte, wie die Kultur der 60er Jahre versagt hat. Er meint damit den Verlust an Werten.

Was folgert er daraus?

Er sagt, die 60er Jahre haben dazu beigetragen, dass man von der Regierung abhängig ist, dass Familienwerte und moralische Werte geschwächt würden. Die Schlussfolgerung für ihn lautet: Wir müssen neue gesellschaftliche Strukturen schaffen.

Welche Rolle spielt Religion dabei?

Sie spielt eine hervorgehobene, aber nicht zentrale Rolle. Viele dieser Vorstellungen kann man in der religiösen Tradition, gerade in den Südstaaten, wo Bush herkommt, wiederfinden. Die Kirche in den USA setzt ja ganz auf die Familie. Es herrscht das Solidaritätsprinzip. Dieses passt auch zu Bushs Einstellung, die Familie in den Vordergrund zu stellen und die Rolle der Regierung zu reduzieren. Auch deshalb würde ich nicht von einer Fortsetzung der republikanischen Politik aus den 80er Jahren sprechen.

Hat Bush ein politisches Konzept?

Zunächst hat er sich durch seine härtere Gangart auch als Staatsmann bewiesen. Dann nimmt der "compassionate conservatism" Formen an. Hier bleibt er seinem Wahlversprechen treu, zu versuchen, die Rolle der Regierung zu reduzieren und mehr Verantwortung auf die kommunale Ebene zu delegieren. Das deutet auf seine Einstellung hin, dass der Wohlfahrtsstaat versagt hat. Bush glaubt, dass der Staat nicht für Wohlfahrt verantwortlich sein kann und dass diesen Bereich andere Organisationen, zum Beispiel kirchliche, übernehmen sollten. Zudem hat er in seiner Steuerpolitik und bei der Bildungsreform Fortschritte gemacht und sich dabei im Streit mit den Demokraten als kompromissbereit gezeigt.

Und in der Außenpolitik?

Ich glaube, es ist noch zu früh, ein außenpolitisches Konzept zu erkennen. Die USA sind noch in einer Umbruchphase, wo der Präsident "learning by doing" betreibt. Wie sehr viele Präsidenten vor ihm in der Außenpolitik auch. Er hat einmal gesagt, dass seine Außenpolitik einen Namen hat: der neue Realismus. Ich weiß nicht, wie man diesen neuen Realismus definieren wird. Auf jeden Fall versucht Amerika mehr, alleine zu agieren. Aber die USA werden auch hier kompromissbereit sein müssen. Sagen wir, Bush befindet sich auch hier in der Lernkurve.

Nimm Bush Europa nicht mehr so ernst, wie es dem traditionellen atlantischen Verhältnis angemesssen wäre?

Europa wird weiterhin ein wichtiger Pol für Amerika sein. Aber die USA haben auch andere Interessen. Die müssen miteinander verbunden werden. Amerika war immer eine pazifische und eine atlantische Macht. Bushs erste Auslandsreisen führten ihn nach Kanada und Mexiko. Er ist jetzt zum Gipfel der OAS nach Quebec gefahren. Das fällt auf. Er ist ein regionaler Denker. Das ist sein Zuhause. In gewisser Weise steuert Bush auf eine "Festung Amerika" hin - im Sinne der "Fortress Europe" Anfang der 90er. Europa scheint das nicht zu bemerken.

Wissen die Amerikaner nach 100 Tagen Amtszeit scho

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