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Kultur: 1991 2003

Von Christiane Peitz Tomahawks. Apaches.

Von Christiane Peitz

Tomahawks. Apaches. Nun lernen wir wieder, im TVCrashkurs für den militärischen Laien, die indianischen Namen der US- Kriegsmaschinerie. Auf dem Bildschirm flimmert wieder das grüne Leuchten am Nachthimmel von Bagdad, auf den Straßen von Berlin demonstrieren schon am Vormittag 50000 Schüler. Wie damals, am 17. Januar 1991, als der Befehl zur Operation „Wüstensturm“ erging. Auch jener Golfkrieg begann in der Nacht auf Donnerstag, nach monatelangem Ringen um eine diplomatische Lösung, nach UN-Resolutionen, Antikriegsdemonstrationen und dem Ende eines Ultimatums an Iraks ungerührten Diktator.

Wie sich die Bilder gleichen. Und die Wörter dazu, denkt man und glaubt zunächst an an ein Déjà-vu. War es nicht genauso, das Ende des Wartens auf den Krieg – „wie auf eine Fußball-WM“, hieß es 1991 am Tag danach in dieser Zeitung? Die Gasmasken, die in Israel verteilt werden? Die Einschläge irakischer Scud-Raketen? Dazu die deutsche Debatte um Verantwortungs- und Gewissensethik, die Bellizismen eines Wolf Biermann, die Saddam-Hitler-Vergleiche, die große allgemeine Verunsicherung? Ja. Nein.

Bei aller Ähnlichkeit der Eindrücke und spontanen Empfindungen: Dieses Kapitel der Weltgeschichte wiederholt sich nicht. Wer sich erinnert, bemerkt zugleich, wie sehr die Welt sich seitdem verändert hat. Allein die demonstrierenden Schüler: Damals trieb die Angst sie auf die Straße, eine Angst, die von den Erwachsenen geteilt, ja geschürt wurde. Die neue Weltordnung nach dem Ende des Kalten Kriegs war ein fragiles Gebilde, die diffuse, teils irrationale Furcht vor globalen Erschütterungen durch einen territorial ja durchaus begrenzten Krieg nährte sich einerseits von der schlichten Ratlosigkeit angesichts einer noch weitgehend unbekannten Weltlage. Sie war andererseits auch ein Nachhall der Achtzigerjahre und ihrer apokalyptischen Stimmung. Erst Waldsterben, dann Tschernobyl – nun auch noch brennende Ölfelder. Die Bettlaken an den Balkons, die Programmänderungen an Deutschlands Bühnen, der abgesagte Karneval: All das war nicht zuletzt Ausdruck einer immensen gefühlten Bedrohung. Selbst Berlins Regierender Bürgermeister Momper gestand damals: „Ich habe Angst.“

Verkehrte Gefühlswelt: Die reale Bedrohung, das wissen wir spätestens seit dem 11. September, ist heute weit höher. Die Globalisierung des vergangenen Jahrzehnts hat einen internationalen Terrorismus hervorgebracht, von dem seinerzeit noch kaum jemand albträumte. Dennoch sind die jetzigen Demonstrationen von anderen Emotionen getragen: weniger von Angst als von Empörung und Wut. Es ist die Wut über einen US-Präsidenten, der mit seinem Alleingang der internationalen Staatengemeinschaft des 21. Jahrhunderts eine rüde Abfuhr erteilt. Mit seinem Angriff auf Bagdad bombt George W. Bush die Welt gewissermaßen ins 20. Jahrhundert zurück, in eine Zeit der nationalen Interessenpolitik, die ein überstaatliches Rechtsempfinden und supranationale Organisationen wie die UN nicht sonderlich ernst nahm. Ja, auch die „gefühlte“ Globalisierung hat seit 1991 erheblich zugenommen: Der Golfkrieg war der erste Echtzeit-Krieg, die erste eindrückliche visuelle wie emotionale Erfahrung einer Weltgemeinschaft und Weltverantwortung. Eine Erfahrung, die alle teilten, die Politiker, die Militärs, die unpolitischen Zeitgenossen, die Kinder und Jugendlichen. Auch diese Erfahrung negiert Bushs Angriff – und zerstört zugleich die Hoffnung auf einen Staatenbund der Vernunft, der sich auf demokratische Grundprinzipien und das Völkerrecht verständigt.

Erfahrung mildert Ängste, selbst wenn es schlimme Erfahrungen sind. Längst gehen wir so selbstverständlich wie skeptisch mit den Medien um: Mit der Kommunikation im globalen Dorf ist die Welt kleiner geworden seit 1991, aber auch chaotischer. Wir haben gelernt, wie kriegerische Auseinandersetzungen nach der Ära der Abschreckung verlaufen und welche Gefahren der internationale Terrorismus birgt. Kosovo, der 11. September, Afghanistan: Auch die deutsche Debatte zwischen Kriegswilligen und -unwilligen beruft sich anders als vor zwölf Jahren nicht mehr vorrangig auf die Lehren des Zweiten Weltkriegs. Von wegen „Nie wieder“. Der Protest gegen die Bomben auf Bagdad ist nicht von einer Koalition der Gutwilligen getragen, sondern von der Empörung der Unwilligen. Damals lernten wir das indianische Waffenvokabular zu entziffern. Heute wissen wir diese Zeichen zu deuten: als Zynismus einer aggressiven Supermacht, die sich von den Opfern ihrer Gründungsgeschichte symbolisch die Kampfkraft leiht.

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