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Digitale Elite. Auch wenn manche Mitglieder nicht so wirken – der CCC gehört heute zum Polit-Establishment. Hier Teilnehmer des „Chaos Communications Camp 2011“.

© dapd

30 Jahre CCC: Hacky Birthday

Es begann mit einer Kleinanzeige – 30 Jahre später ist der Chaos Computer Club der Hohe Rat der digitalen Gesellschaft. Eine Spurensuche.

Von Anna Sauerbrey

Im Flugzeughangar ist es dunkel und kühl. Seinen Laptop balanciert der junge Mann auf den Knien. Auf dem Bildschirm flimmern hunderte Zeilen Programmcode, grün auf schwarzem Grund. Mama würde sagen: „Junge, du verdirbst dir die Augen!“ Aber Mamas sind hier nur sehr wenige, beim Sommercamp des Chaos Computer Clubs auf einem stillgelegten Flughafen im brandenburgischen Finowfurt. Der junge Mann tippt also weiter auf seiner Tastatur und sagt dann zu dem, der neben ihm sitzt: „So, jetzt habe ich das initial gebaut, jetzt können wir den Rest rüberkopieren.“ Mit einer Tastenkombination fügt er irgendwo zwischen all den Zahlen, Buchstaben und Klammern noch mehr Zahlen, Buchstaben und Klammern ein, drückt Enter und nickt zufrieden. Die Maschine hat schon ein paar Schrammen. Aber sie gehorcht.

„Informations- und Kommunikationstechnologien verändern das Verhältnis Mensch-Maschine und der Menschen untereinander.“ So steht es in der Präambel der Satzung des Chaos Computer Clubs. Und um das Verhältnis von Mensch und Maschine und das der Menschen untereinander zu verbessern, hat sich der Club im September vor 30 Jahren gegründet. Damals, 1981, landeten auf dem heute stillgelegten Flugplatz in der Nähe von Eberswalde, wo heute die Hacker campen, noch sowjetische MiG-25-Flugzeuge. Beim Wort „Netz“ dachte man an Fischer oder an die Strumpfhosen der Punkerinnen vom Bahnhof Zoo und beim Wort „Hacker“ an kanadische Holzfäller.

Heute, 30 Jahre später, sind Hacker die Magier-Priester der digitalen Gesellschaft. Und der CCC ihr Hoher Rat.

Je wichtiger die Computer für uns werden, je mehr sich das alltägliche Leben mit Technik voll saugt, desto mehr Macht gibt den Hackern ihr Wissen. Sie sind eine neue Elite inmitten der breiten Masse technisch minderbemittelter Computer-Legastheniker. So sehen sie das selbst, und die technische Entwicklung hat den Club Jahr für Jahr in seiner Existenzberechtigung bestärkt. Doch selbst die Mitglieder, so sehr sie zur Prophetie neigen, hätten es wohl nicht gewagt vorauszusagen, dass der Club einmal eine feste Größe im Neu-Berliner Polit-Establishment werden würde. „Am Anfang hat niemand erwartet, dass dieser doch recht chaotische Verein einmal mehrere Dekaden alt wird“, sagt selbst Constanze Kurz, die Sprecherin des Clubs.

Es fing an mit einer Anzeige in der „taz“ am 1. September 1981. „Damit wir als Komputerfrieks nicht länger unkoordiniert vor uns hinwuseln, tun wir wat und treffen uns am 12.9.81 in Berlin“, hieß es in dem wenige Zeilen langen Aufruf. Unterzeichner waren „Tom Twiddlebit“ alias Klaus Schleisiek und „Wau Wolf Ungenannt“, der bürgerlich Herwart Holland-Moritz hieß. Schleisiek und Wau hatten sich ein paar Jahr zuvor bei einem linken Hamburger Programmkino-Projekt kennen gelernt und pflegten ein Faible für Technik. Schleisiek besaß einen der ersten personal computer, einen Osborne 1, „der war tragbar, wie ein Nähmaschinenkoffer“, erinnert er sich. Ob er darauf auch das Protokoll jenes ersten Treffens schrieb, daran erinnert er sich nicht.

Aber daran, dass es eine lange Sitzung war. Im Protokoll bemerkte Schleisiek: „Nachdem sich in einer 2-stündigen Sitzung einige Themen herausgeschält hatten, die in der Zukunft vertiefend zu bearbeiten sind, begann nach der Mittagspause eine schleppende Diskussion, die hauptsächlich im Abgeben von Statements bestand.“ Es ging um die „alternative Nutzung von Komputern“, um verschiedene Kommunikationssysteme und Chatroom-Vorläufer und um „gesellschaftliche Aspekte“. Es klingt eher nach Lehrerkonferenz als nach Subversion.

Genau dafür wurde der Club einige Jahre später bekannt. Schleisiek, dem eher ein politisches Aktionsbündnis vorschwebte, war in die USA gegangen, und eine Gruppe traf sich nun regelmäßig in Hamburg, unter der Ägide von Wau. Wau, der den CCC über fast zwei Jahrzehnte prägte sollte, war, glaubt man den Erzählungen, genial, charismatisch und chaotisch. Er sprach in Aphorismen, stritt hart, und in seiner Wohnung war kein Fleckchen Teppich zu sehen. „Er hat das Halbseidene in den CCC gebracht“, sagt Schleisiek und meint damit Aktionen wie diese: 1984 stellte der CCC eine gebührenpflichtige Seite in das BTX-System, einem interaktiven Bildschirmdienst. Club-Mitglieder hatten sich die BTX-Zugangsdaten der Hamburger Sparkasse besorgt und riefen mit dem Konto der Bank ihre eigene Seite immer wieder auf. In wenigen Stunden kamen so Kosten von 135 000 D-Mark zusammen – und der CCC kam ins Fernsehen.

Andy Müller-Maguhn, heute Ehrenmitglied des CCC, war 14 Jahre alt, als er kurz nach dem BTX-Hack den Computern und dem Club verfiel. Die Hamburger CCC-Zentrale in der Schwenckestraße lag auf seinem Schulweg. Es waren die achtziger Jahre, die Grünen gaben beim CCC eine Studie in Auftrag, um prüfen zu lassen, was gegen die Einführung von Computern im Bundestag sprechen könnte, die Post saß auf dem Monopol zur elektronischen Datenübertragung, und wer sich ein Modem bastelte, verstieß gegen das Gesetz. Dem CCC war das herzlich egal. Über den Club bekam Müller-Maguhn erstmals Zugang zu digitalen Datenschnittstellen. „Die Vorstellung, in Hamburg etwas auf einer Tastatur zu tippen und zu wissen, dass sich am anderen Ende des Planeten eine Festplatte bewegt, das war erhebend“, sagt er.

Lesen Sie auf Seite 2: Die neue Generation

Der Club machte nun regelmäßig von sich reden. Nach dem BTX-Hack folgte 1987 ein Einbruch bei der NASA. 1989 wurden Hacker aus dem Umfeld des CCC verdächtigt, Daten von West-Computern gestohlen und an den KGB verkauft zu haben. 1997 klonen Hacker eine D2-Handy-Sim-Karte. Der Club war anarchisch, kantig, unberechenbar. Und er pflegte dieses Bild genüsslich.

Die Club-Historiker sind sich uneins darüber, warum der CCC Anfang des neuen Jahrtausends geschmeidiger und professioneller wurde. Ein Grund war sicher Waus Tod 2001, mit nur 49 Jahren. Andy Müller-Maguhn, ein begabter Organisator, zog nach Berlin und startete neu. Die heutige Generation ist offener, pragmatischer und politischer. Sie ist mehr das, was Klaus Schleisiek im Kopf hatte, als er 1981 das Inserat in der „taz“ unterzeichnete. Clubmitglieder saßen schon im Beirat der ICANN, der internationalen Organisation, die die Internetadressen verwaltet. Sie beraten Abgeordnete in der Enquete-Kommission Internet des Bundestages, sie waren Ansprechpartner des damaligen Innenministers Thomas de Maizière, als dieser 2009 den „netzpolitischen Dialog“ ins Leben rief, und sie geben als Sachverständige dem Bundesverfassungsgericht Auskunft. „Wir müssen unser Wissen teilen“, sagt Sprecherin Kurz. „Das heißt eben auch, mit politischen Entscheidern zu reden.“

1988 hat Wau eine Rede bei dem von den Jusos organisierten Treffen „Jugend und Technik“ in Bonn gehalten. Er zitierte darin einen Artikel aus dem „Rolling Stone“. Dessen Autor war durch Deutschland gefahren und fand die Deutschen unheimlich roboterhaft. „Das ist eine negative Zukunftssicht“, rief Wau den jungen Leuten zu, „dass die Computer immer flexibler werden und die Menschen immer roboterhafter“. Der CCC hingegen will, dass es andersherum ist: Der Mensch denkt. Die Maschine gehorcht.

Und die Maschine von dem jungen Typen mit dem verschrammten Laptop? Welchen Befehl hat er ausgesandt aus dem Dunkel eines stillgelegten Hangars im Brandenburgischen Kiefernwald? Hackt er den Zentralserver des BND? Startet er eine Rakete auf Cape Canaveral? Lädt er sich Mastercard-Nummern herunter? „Also, das hier ist ein Mikrocontroller“, erklärt er geduldig und deutet auf einen Chip, der auf ein handtellergroßes Stück Plastik gelötet ist. Diesen Elektroanhänger in Form einer Rakete hat jeder bei der Anmeldung zum Camp bekommen. „Und hier ist eine Funkschnittstelle. Und das hier ist das Display. Ich spiele da jetzt ein bisschen mit rum und wenn es dann nachher blinkt und Hallo sagt, freue ich mich.“ Ach so.

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