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Hans Rehberg und seine Nachfolgerin Rachel-Sophie Dries.

© Peter Adamik

Bariton und Kulturmanager Hans Rehberg: 41 Jahre hat er den Rundfunkchor Berlin geprägt

Eine Karriere, wie sie nicht im Lehrbuch steht: Durch die Wende wurde Hans Rehberg vom Sänger zum Manager - und führte den Rundfunkchor in die Zukunft.

Sein Turmzimmer am Gendarmenmarkt wird er vermissen. Den achteckigen Raum im fünften Stock des Hauses Charlottenstraße 56, mit den vier Bullaugenfenstern. Aus dem einen sieht er die Kuppel des Deutschen Doms, aus dem anderen den Apollo auf dem Giebel des Konzerthaus-Dachs. Und dazu ganz viel Himmel über Berlin.

Einen offenen Horizont vor Augen zu haben, Weite für den neugierigen Blick, das war Hans Rehberg schon immer wichtig. Darum wollte er auch so schnell wie möglich raus aus dem Dorf in Sachsen- Anhalt, in dem er 1956 geboren wurde. Schön waren die Kindertage, der Tanzsaal in der Gastwirtschaft seiner Eltern wurde dem klassikbegeisterten Knaben zum Abenteuerspielplatz, wo er ganze Opern nachspielte. Doch der 400-Seelen-Flecken Schinne in der Altmark ist nun einmal eine Sackgasse. Ein Ort, durch den man noch nicht einmal durchfahren kann, auf dem Weg in die weite Welt. Das war definitiv unakzeptabel.

Die Provinz ist nichts für ihn, er will in die Großstadt

Also zog es Hans Rehberg erst nach Stendal, in die nächste Kreisstadt, wo er Klavierunterricht bekommen und in der Pension seiner Tante übernachten konnte, in der auch die Gastkünster:innen des Stadttheaters abstiegen. Und dann nach Halle an der Saale, zur Spezialschule für Musik, schließlich nach Leipzig, zum Gesangsstudium. Hier, in der Messemetropole, wollte er bleiben. Also bewarb er sich nach dem Abschluss auf die erstbeste freie Stelle, wurde Mitglied im Chor der „Musikalischen Komödie“, stand fünf Jahre lang in Operetten und Musicals auf der Bühne. Und hatte durchaus Spaß daran. Aber 150 Kilometer weiter nördlich lockte ja noch ein anderes urbanes Versprechen, das größte, das man als DDR-Bürger im eigenen Land erreichen konnte: Berlin. Gleich beim ersten Vorsingen klappte es 1981 mit dem Wechsel, der Rundfunkchor wollte den Bariton haben.

„Dabei hatten wir uns im Studium immer gesagt: Zu den Radio-Ensembles gehen wir auf keinen Fall, weil die immer so ernst gucken als wären sie schon tot.“ Rehberg muss rückblickend lachen – denn just dieser Job entpuppte sich bald als „Paradies auf Erden“: Was man da alles machen konnte! Nicht nur „Gräfin Mariza“ und „Die Fledermaus“, sondern Studioaufnahmen in der ganzen Bandbreite des Repertoires, Fernsehauftritte, a cappella, Hörspiele sogar. Und Aushilfe Unter den Linden, bei den großen Choropern.

Der Rundfunkchor Berlin wurde 1925 gegründet.
Der Rundfunkchor Berlin wurde 1925 gegründet.

© Marcel Köhler

Bald übernahm der Vielseitigskeitsfan Hans Rehberg die Organisation der Muggen, also der „musikalischen Gelegenheitsarbeiten“, für sich und seine Kolleg:innen, er wurde in den Vorstand gewählt – und dann fiel die Mauer. Ein neuer Chordirektor musste her, die Wahl fiel zum Glück auf keinen Besserwessi, sondern auf den Macher aus den eigenen Reihen. Hans Rehberg zögerte kurz, bat darum, dass seine Position im Ensemble ein Jahr lang für ihn freigehalten werde, stürzte sich dann in die neue Aufgabe, versuchte, nebenbei an der Eisler-Hochschule die Grundlagen des Kulturmanagements zu lernen, wurde zeitlich von der Praxis voll in Beschlag genommen, hatte Spaß an der Herausforderung, besetzte seine Bariton-Stelle im Chor neu, wuchs mit den Aufgaben.

Rein in die Praxis, volles Risiko - aber es funktioniert

Wilde Nachwendejahre waren das, voller Freiheit und Möglichkeiten. Weil es im Westteil der Stadt nur den Rias Kammerchor gab, war der personalstarke Rundfunkchor plötzlich auch dort sehr gefragt. Ein Auftritt jagte den nächsten, aber die Zukunft war unsicher. Mühsam rauften sich schließlich vier Institutionen zusammen – Bund, Berlin, der SFB und Deutschlandfunk – um vier Ensembles zu retten, die bei der Neuordnung der Rundfunklandschaft unterzugehen drohten. Zusammen mit dem Deutschen Symphonie-Orchester und dem Rundfunk Sinfonieorchester kamen die beiden Berliner Profichöre 1994 unter das schützende Dach der ROC.
Und es zahlte sich aus, dass Hans Rehberg gemeinsam mit seinem Managerkollegen vom Rias-Kammerchor früh darauf geachtet hatte, die unterschiedlichen künstlerischen Profile zu schärfen. Ganz alte und ganz neue Musik war das Terrain des Kammerchores, die großen chorsinfonischen Werke machte der Rundfunkchor. Mit 83 Mitgliedern war er fast doppelt so groß wie die entsprechenden Ensembles westdeutscher Rundfunkanstalten. Ein Personalabbau ließ sich beim Übergang in die neue ROC nicht vermeiden, Rehberg gelang es schließlich, 64 Planstellen zu retten.

Der Chor soll mehr sein als eine Randnotiz

Als Chefdirigent Dietrich Knothe 1993 altersgemäß in Rente ging, kam der Brite Robin Gritton und brachte frische Ideen mit. Ihm folgte sein Landsmann Simon Halsey, dessen Jugendfreund und Vornamenvetter Rattle den Rundfunkchor dann auch endlich regelmäßig zu den Berliner Philharmonikern einlud. Claudio Abbado hatte skandinavische Chöre bevorzugt, wegen ihres klar-kühlen „Carraramarmor-Klangs“, wie Rehberg es nennt. Sein Chor dagegen punktet ja gerade durch Samtigkeit und Wärme. Mit den Erfolgen wuchsen die Wünsche. Tourneen nach Japan und in die USA waren aufregend, doch da gab es noch ein höheres Ziel: als Chor aus dem Schatten der Orchester herauszutreten, in den Konzertkritiken nicht immer nur mit einem lobenden Nebensatz erwähnt zu werden. „Broadening the scope of choral music“ nannte er die mit Simon Halsey entwickelte Idee. Der Wirkungskreis der Sänger:innen sollte sich weiten, ästhetisch wie auch aufführungspraktisch.

Rehbergs Ziel: Den Chor näher ans Publikum zu bringen

Was folgte, waren Pioniertaten mit nachhaltiger Wirkung: denn die szenischen a cappella-Projekte machten schon vor 18 Jahren das möglich, was andere Institutionen jetzt erst für sich entdecken: eine größere Nähe zum Publikum. Da arbeitete der Choreograf Lars Scheibner für Rhodion Schtschedrins „Der versiegelte Engel“ mit dem Chor und Tänzern, da realisierte Hans-Werner Kroesinger Ernst Peppings „Passionsbericht“ als Dokumentartheater. Zum größten Erfolg aber wurde das „human requiem“: Jochen Sandig gestaltete Brahms’ Totenmesse als Raumperformance, bei der sich die Sänger:innen, nur vom Klavier begleitet, frei im Publikum bewegen. Bis nach Australien führten Gastspiele mit dieser Produktion. Zum Dauerbrenner wurde auch das Mitsingkonzert, bei dem Laien und Profis gemeinsam proben und in der Philharmonie auftreten.

Rachel-Sophie Dries, Jahrgang 1981, übernimmt jetzt die Leitung

Hans Rehberg wirkt jünger aus sein sein Pass behauptet, er spricht von seinem Chor und seinem Job mit so viel Leidenschaft, dass man ihn sich definitiv nicht im Ruhestand vorstellen kann. Und doch war er es, der die Nachfolgersuche in Gang brachte. „Ich habe im Laufe der Jahre so manchem Kollegen und so mancher Kollegin sanft beibringen müssen, dass es an der Zeit ist, den Platz für die nächste Generation freizumachen“, sagt er. Da kam eine Ausnahme für ihn selbst nicht in Frage. Rachel-Sophie Dries, geboren 1981, ist bereits eingearbeitet und übernimmt ab August offiziell die Chordirektorinnenstelle (Am 1. und 3. Juli präsentiert der Rundfunkchor die Konzertperformance „Time Travellers“ in der Schinkelhalle Potsdam, am 6. Juli wird Hans Rehberg bei einem von Gayle Tufts moderierten Abend im Heimathafen Neukölln verabschiedet).

Hans Rehberg wird weiterhin an der Rostocker Musikhochschule unterrichten, „Musikmanagement und Karriereplanung“ für angehende Profis aus allen Stilrichtungen. Und er wird den weiten Blick genießen, zwar nicht mehr von seinen Mansardenfenstern am Gendarmenmarkt aus, aber vom privaten Balkon. Aus dem Prenzlauer Berg ist er jüngst ins Hansaviertel umgezogen, in eine Wohnung an der Spree.

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