zum Hauptinhalt

Kultur: 50. Berliner Festwochen: Vom Titania-Palast in Steglitz zum Kulturforum - ein Streifzug durch 50 Jahre Festwochen

Am 1. Februar 1951 besetzt eine Einheit der "Volkspolizei" den zum West-Berliner Bezirk Spandau gehörenden Ortsteil West-Staaken.

Am 1. Februar 1951 besetzt eine Einheit der "Volkspolizei" den zum West-Berliner Bezirk Spandau gehörenden Ortsteil West-Staaken. Rund 600 Familien fliehen. Am 8. Dezember 1951 warnt der im Januar zum Regierenden Bürgermeister von Berlin gewählte Ernst Reuter vor der UNO-Vollversammlung, die Teilung Berlins zu verewigen. Das war die Lage West-Berlins sechs Jahre nach Kriegsende und zwei Jahre nach der Aufhebung der sowjetischen Blockade.

War es da nicht vermessen, "Festspiele" veranstalten zu wollen? Die Antwort gab damals Ernst Reuter selbst: "Ja, auch Festspiele sind nötig und gehören in das Leben unserer Stadt." Aber Berlin hatte keine Festspieltradition wie Bayreuth oder Salzburg, Berlin hatte keine unzerstörte Stadtlandschaft wie Venedig oder Florenz, Berlin lag in Trümmern. Gerhart von Westerman hatte das schwierige Amt des ersten Festwochen-Intendanten übernommen. Sein Programm: Er wollte zeigen, was sich in dieser Stadt noch an künstlerischer Potenz erhalten hatte und was sich neu zu formieren begann. Wilhelm Furtwängler, Carl Schuricht, Leo Blech, Joseph Keilberth, Hans Rosbaud, aber auch der junge Feuerkopf Sergiu Celibidache dirigierten das Berliner Philharmonische Orchester im einzigen erhalten gebliebenen großen Saal West-Berlins, dem ehemaligen Kino Titania-Palast in Steglitz. Der profunde Musikkenner von Westerman wollte schon bei den ersten Festwochen die zeitgenössische Musik fördern. So wurden Wolfgang Fortners "Die weiße Rose", Ernst Peppings Klavierkonzert und Boris Blachers Ballett "Lysistrata" uraufgeführt. Bereits 1951 gastierte die Comédie Française und der junge Pantomime Marcel Marceau.

Einweihung mit Tell

Vom 5. September 1951 an wurden die ersten Festwochen mit der Einweihung des Schiller Theaters eröffnet. Boleslaw Barlog hatte beziehungsreich zur Berliner Situation Schillers "Wilhelm Tell" inszeniert. Die Eröffnungsrede hielt Bundespräsident Theodor Heuss.

Es ist kaum bekannt, dass die ersten Festwochen von den West-Alliierten bezahlt wurden. Erst 1953 übernahm das Land Berlin die Finanzierung allein, ohne Beteiligung des Bundes. Die Eintrittspreise lagen zwischen einer und 15 Mark. Ostbesucher zahlten den doppelten Preis in Ost-Mark.

Viele bedeutende Festwochen-Ereignisse der fünfziger Jahre sind heute verblasst oder vergessen. Wer erinnert sich noch an das New Yorker Gastspiel von "Porgy and Bess" mit Leontyne Price und William Warfield in den Hauptrollen, an Gérard Philipe als "Prinz Friedrich von Homburg", an den ersten Besuch - dem viele folgen sollten - von Samuel Beckett zur Aufführung seines Stückes "Warten auf Godot", an das Gastspiel der Mailänder Scala. Herbert von Karajan dirigierte "Lucia di Lammermoor". Maria Callas sang die Titelrolle.

Dem 1963 verstorbenen Gerhart Westerman folgte Nicolas Nabokov. Er öffnete den Festwochen neue Horizonte. 1964 stellte er sie unter ein Thema: "Die Wechselwirkungen zwischen Kultur des Abendlandes und des schwarzen Afrikas". Es gastierten Ensembles aus Kamerun und Dahomey. Nabokov arrangierte ein afrikanisches Dichtertreffen, Ausstellungen zeigten afrikanische Kunst. Ein Jahr später holte er die Kultur des Fernen Ostens nach Berlin. Zum ersten Mal sah das Publikum ein Kabuki-Theater und hörte Kyoto-Konzerte.

Der weltmännische Nabokov liebte die Großzügigkeit. Als er einmal ausländische Künstler mit den Worten einlud "und nun Champagner für meine Gäste" wurde nur die bekannte "Senats-Brause" gereicht. Nabokov war tief betroffen.

Dass ein bedeutendes Konzert aus "ess-thetischen" Gründen beinahe geplatzt wäre, berichtete mir der Freund eines berühmten Pianisten. Dieser hatte sich im Hotel vor dem Konzert eine Käseplatte bestellt. Beim Essen schnitt er sich in einen seiner kostbaren Finger. Doch er stand das Konzert durch. Das Publikum hatte die "Schnittstelle" nicht bemerkt - sonst wäre der Beifall vielleicht noch größer gewesen.

Walter Schmieding, der 1969 die Festspielleitung übernahm, verfolgte ein kulturpolitisches Ziel, das er gegen zum Teil heftige Widerstände in Bonn und Berlin durchsetzte: Er wollte wichtige künstlerische Strömungen und neue Theaterformen, die in der Welt kontrovers diskutiert wurden, zu den Festwochen nach Berlin holen. Es gelang ihm. Zum Beispiel: das Gastspiel des "Bread and Puppet"-Straßentheaters, die Aufführung des Musicals "Hair", das Spektakel "Orlando furioso" in Ronconis Regie, die Aufführungen des "La Mama"-Theaters sowie des "Théâtre du Soleil" der Ariane Mnouchkine mit der Revolutionsrevue "1789", die "Royal Shakespeare Company" mit Peter Brooks Inszenierung des "Sommernachtstraums" und Jerome Savarys "Le Grand Magic Circus".

Ein Gastspiel ist mir besonders in Erinnerung: Die "Compagnia Marionettistica Carlo Colla e Figli" aus Mailand. Das Hebbel-Theater, wo die Collas gastierten, verwandelte sich in eine Wanderbühne früherer Zeiten. Die 500 Marionetten hingen - nach Auftritten aufgereiht - in einem Gestänge, eine schöner als die andere. Die Marionettenspieler hatten sich Märchen aus aller Welt ausgeliehen und für ihre Bühne umgeschrieben. Alle arbeiteten mit. Nur der kleine Sohn fiel einmal aus der Rolle, als er während einer Vorstellung laut rief: "La pasta e pronta" - die Nudeln sind fertig.

Ost-West-Forum

1973 übernahm Ulrich Eckhardt die Leitung der Festwochen als Intendant. Er wurde zugleich Geschäftsführer der Berliner Festspiele GmbH. Diese 1967 gegründete Trägergesellschaft konnte gegenüber den damaligen Ostblockstaaten als Gesellschaft mit beschränkter Haftung auftreten, ohne dass die Beteiligung des Bundes erkennbar wurde. Wenn diese ungewöhnliche Konstruktion auch keine Gesellschaft mit unbegrenzten Möglichkeiten wurde, half sie, bei Verhandlungen und Verträgen die vom Ostblock errichteten Hindernisse wegen der Bindung Berlins an Bonn zu überwinden.

1976 wurden die Festwochen erstmalig zu einem "Ost-West-Forum der Künste". Es gastierte die Moskauer Kammeroper. Unter der musikalischen Leitung von Roshdestvensky wurde "Die Nase" von Schostakowitsch aufgeführt. Ludmilla Zykina gab einen Liederabend und Kammerorchester kamen aus Ungarn und Polen. 1978 folgten die Moskauer, 1979 die Leningrader Philharmoniker.

Vier Jahre später gelang es, ein ganzes Festwochen Programm als "Ost-West-Dialog" zu gestalten. Unter dem Titel "Simbulismus - Futurismus" wurde ein Panorama der russischen Kunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts ausgebreitet. Wenn auch die russische Beteiligung an den Berliner Festwochen immer von der "Großwetterlage" zwischen Ost und West abhängig war, so wurde deutlich, dass sowjetische Diplomaten in Bonn und Ost-Berlin den kulturellen "Alleinvertretungsanspruch" der DDR, die West-Berliner Festwochen auszugrenzen und von Osteuropa zu isolieren, umgangen, wenn nicht unterlaufen hatten. DDR-Grenzorgane machten sich lächerlich, als sie Theaterrequisiten - wie Holzattrappen von Gewehren - die Einreise nach "WB" verweigerten. Einladungen an kulturelle DDR-Einrichtungen wurden ungeöffnet zurückgeschickt.

Polen ging mit den Blockierungsversuchen der DDR recht leger um. Schon 1978 kam Tadeusz Kantor mit dem "Teatr Cricot", um hier ein auch in Polen sehr brisantes Stück zu zeigen: "Die tote Klasse". Danach war Polen Jahr für Jahr mit wichtigen Bühnen in Berlin präsent: das "Teatr KUL" aus Lublin, das "Teatr Stary" aus Krakau. 1985 inszenierte Andrzej Wajda Dramatisierungen von Dostojewsky in der Schaubühne. Die Dolmetscherin brachte dabei das Kunststück fertig, die Dialoge der polnischen Schauspieler und die Regieanweisungen Wajdas parallel zu übersetzen.

Ein Jahr vor der friedlichen Vereinigung gelang es der Festwochen-Leitung mit politischer Unterstützung den jahrzehntelangen Widerstand der DDR schrittweise zu lockern. 1988 gastierte zum ersten Mal offiziell ein Theater aus der DDR, das Staatsschauspiel Dresden, während der Festwochen in Berlin. In der Regie von Wolfgang Engel wurden mit großem Erfolg Hebbels "Nibelungen" aufgeführt. Parallel dazu fand im Neuen Kunstquartier die Ausstellung "Zeitvergleich 1988 - 13 Maler aus der DDR" statt.

Was brauchen die Festwochen für die zweiten 50 Jahre ihres Bestehens, wenn sie denn so weiter bestehen werden? "Weniger Repräsentation, mehr Werkstatt und Erprobung und Reflexion" - aber das ist ein Zitat aus einem Interview mit Ulrich Eckhardt aus dem Jahre 1972.

Hans Christoph Knebusch

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false