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Kultur: 50 Jahre Genfer Flüchtlingskonvention: "Wir schützen Flüchtlinge, keine Wirtschaftsmigranten". UN-Rechtsexperte Buchhorn weist den Vorwurf des Missbrauchs zurück - ein Interview

Wilfried Buchhorn arbeitet als Rechtsberater bei der deutschen Vertretung des UN-Flüchtlingshilfswerks in Berlin. Herr Buchhorn, UN-Flüchtlingshochkommissar Ruud Lubbers hat gesagt, dass die Genfer Konvention mehr und mehr in Frage gestellt werde.

Wilfried Buchhorn arbeitet als Rechtsberater bei der deutschen Vertretung des UN-Flüchtlingshilfswerks in Berlin.

Herr Buchhorn, UN-Flüchtlingshochkommissar Ruud Lubbers hat gesagt, dass die Genfer Konvention mehr und mehr in Frage gestellt werde. Was meint er damit?

Die Konvention ist das einzige universell geltende Abkommen, das Menschen auf der Flucht Schutz vor Verfolgung und bestimmte Grundrechte garantiert. Einige Politiker behaupten, dass dieser Schutz zunehmend von Wirtschaftsmigranten missbraucht wird. Ein Blick auf die Hauptherkunftsländer wie etwa Irak und Afghanistan zeigt, dass dies nicht der Fall ist. Die Konvention definiert genau, wer Flüchtling ist, und bietet die Möglichkeit, diese von Migranten zu unterscheiden. Wir warnen davor, die Migrationsproblematik mit dem Flüchtlingsschutz zu verwechseln.

Meint Lubbers nicht vielmehr, dass sich immer weniger Länder an die Konvention halten? Er sagt schließlich ganz konkret, dass der Artikel 33, in dem steht, dass kein Flüchtling in eine Gefahrensituation zurückgeschickt werden darf, heute häufig missachtet wird.

UNHCR hat Hinweise darauf, dass in Afrika und Asien Menschen zurückgewiesen worden sind, ohne dass ihr Schutzbegehren geprüft wurde. Das verletzt den Kern der Konvention, das non-refoulment-Gebot. Jeder Aufnahmestaat hat zu prüfen, ob ein Flüchtling in seinem Herkunftsland in Gefahr ist. Das ist keine freundliche Geste, sondern verbindlich festgelegt, und das haben die Mitgliedsstaaten auch unterschrieben. Die Konvention ist ja vor 50 Jahren ausdrücklich so angelegt worden, als bewusste Abkehr von der zuvor praktizierten nur freiwilligen Aufnahme von Flüchtlingen.

Wodurch unterscheiden sich Flüchtlingsströme heute von denen vor 50 Jahren?

Im Prinzip ist der Unterschied nicht groß. Aber heute gibt es zusätzlich das Phänomen der Binnenflüchtlinge, das sind Menschen auf der Flucht, die aber keine Landesgrenzen überschritten haben. Ein Beispiel dafür ist Bosnien, wo es während des Krieges immer sehr viele Flüchtlinge gegeben hat, die in Bosnien gelebt haben. In Sri Lanka sind es heute noch 700 000 Menschen. Und es gibt heute viele interne Konflikte, die früher auch nicht so häufig waren.

Die fallen auch unter den Schutz der Genfer Konvention?

Nur dann wenn sie ihr Heimatland verlassen haben. Die Binnenflüchtlinge benötigen auch Schutz, den UNHCR aber nur begrenzt bieten kann. Für diese Menschen einen völkerrechtlichen Schutz zu schaffen, das ist eine unserer aktuellen Aufgaben.

Warum fliehen die Menschen heute?

Die konkreten Gründe sind vielfältiger geworden, weil sich die Zahl der Konflikte erhöht hat. Die eigentlichen Ursachen, nämlich dass jemandem Leid angetan wird wegen seiner politischen Meinung oder wegen seiner Hautfarbe, die haben sich nicht verändert. Neu dazugekommen sind aber Fluchtbewegungen durch Naturkatastrophen und Umweltveränderungen. Das steht beides außerhalb des Schutzes durch die Konvention.

Muss sich am Inhalt der Konvention deshalb etwas ändern?

Ergänzen könnte man sie vielleicht, aber der Kern hat sich bewährt.

Herr Buchhorn[UN-Flüchtlingshochkommissar Ru]

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