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Bunte Truppe mit offenem Blick für das Leben jenseits des künstlerischen Elfenbeinturms: der Hanns Eisler Chor Berlin.

© Moritz Haase, Collage: Dirk Dassow

50 Jahre Hanns Eisler Chor Berlin: Bloß keine falsche Harmonie

Seit einem halben Jahrhundert einmalig: Der Berliner Hanns Eisler Chor bringt musikalisches und politisches Engagement zusammen. Und gewinnt dadurch immer wieder neue Mitglieder.

„Wo man singt, da lass dich ruhig niederschlagen, deutsche Sänger mögen keine Zwischenfragen.“ Genau das aber wollten Christina Hoffmann-Möller und Susanne Jüdes 1973: widerständig sein. Denn die beiden Lehramtsstudentinnen wussten ja, dass Goethe leider irrte. Auch böse Menschen haben Lieder. Und sie schrecken oftmals nicht davor zurück, ihre Gegner mundtot zu machen.

Der politische Poet Arnfrid Astel brachte es in seinem Aphorismus auf den Punkt, damals, auf dem Höhepunkt der 1968er-Bewegung. Und der Musikwissenschaftler Reinhold Brinkmann öffnete den Studierenden am Fachbereichs Musikerziehung an der Berliner Musikhochschule die Ohren, mit seinen Analysen der Werke des Brecht-Freundes Hanns Eisler.

Politisch engagierte Studierende

Zu Ehren des 1962 verstorbenen Komponisten wollten Christina Hoffmann-Möller und Susanne Jüdes ein Konzert auf die Beine stellen und trommelten darum ihre Kommilitonen und Kommilitonen zusammen. Nach dem riesigen Erfolg des Debüts im Rixdorfer „Gesellschaftshaus“, der heutigen Neuköllner Oper, wuchs der neue Hanns Eisler Chor schnell auf über 60 Mitglieder. 

Die außergewöhnliche Kombination aus politischem und musikalischem Engagement kam an – außer beim Sängerbund, der Interessenvertretung der Chöre. Dort wollte man die bunte, linke Truppe, die in Freizeitklamotten auftrat statt in uniformierter Konzertkleidung, zunächst nicht aufnehmen.    

Experimentierfreudige Truppe

Der Hanns Eisler Chor sang bei Gewerkschaftstreffen, vor dem Brandenburger Tor im Angedenken an die 1848er Revolution, trat zum Antikriegstag auf, in der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen und zum 90. Geburtstag von Inge Deutschkron 2012 im Roten Rathaus. Und zwar nicht nur mit Werken des Namensgebers – der gar nicht so viel für vierstimmige Besetzung komponiert hat –, sondern auch mit frisch geschrieben Stücken von gleichgesinnten Zeitgenossen.

Es gab Experimente mit szenischen Aufführungen und choreografierten Programmen, durch eine Zusammenarbeit mit dem Akademischen Orchester Berlin seit Beginn der 2000er Jahre konnte große Chorsinfonik aufgeführt werden, von Brahms’ „Schicksalslied“ über Gershwins „Porgy and Bess“-Oper in konzertanter Form bis zu Lili Boulangers „Vieille Prière Bouddhique“.  

Aus Krähwinkels Schreckenstagen

Zum fünften Jahrestag des „Radikalenerlasses“, nach dem Beschäftigte des öffentlichen Dienstes in der Bundesrepublik auf ihre Verfassungstreue hin überprüft und gegebenenfalls mit einem Berufsverbot belegt werden konnten, brachte der Chor das Programm „Aus Krähwinkels Schreckenstagen“ heraus, im selben Jahr gastierte er mit „Politischer Chormusik der 20er Jahre“ bei den Berliner Festwochen. 1987 eröffnete er das Festival gemeinsam mit dem Jeunesses-Musicales-Weltorchester.

Bei dem Abend „Ferne Heimat, nahe Fremde“ ging es 2015 um weltweite Fluchtbewegungen, in „Dogma macht Zweifel“ anlässlich des Lutherjahrs um religiöse Umbruchzeiten. Zuletzt brachte der Chor das Programm „Waldesnacht im Klimataumel“ heraus.

Basisdemokratische Struktur

Und wie läuft die Chorarbeit ganz praktisch ab mit einer künstlerischen Doppelspitze? „Wir teilen uns die Stücke gerecht auf“, sagt Christina Hoffmann-Möller, und Susanne Jüdes ergänzt: „Beide kennen wir aber immer alle Werke, so dass wir im Krankheitsfall gegenseitig bei Proben oder Aufführungen einspringen können.“

Wichtig ist den zwei Frauen auch die basisdemokratische Struktur des Ensembles: Was gesungen werden soll und welche Texte im Konzert den gesellschaftlichen Kontext herstellen können, darüber wird zunächst immer in der Gruppe diskutiert. Auch wenn am Ende dann die Chorleiterinnen eine Entscheidung treffen müssen, was von den Ideen künstlerisch tatsächlich umsetzbar ist.

Weit entfernt von Amtsmüdigkeit

Denn so ein Laienchor braucht Zeit zur Einstudierung neuer Werke, auch wenn er sich wöchentlich trifft und vor Konzerten immer ein intensives Probenwochenende veranstaltet. „Viele unserer Mitglieder sind schon sehr lange dabei“, berichtet Susanne Jüdes. Dadurch bekommt der Chor auch eine soziale Komponente, als Zweitfamilie. Gleichzeitig lockt die Einmaligkeit des Profils auch regelmäßig neue Interessenten an. „Über ein paar mehr Männerstimmen würden wir uns dennoch freuen“, sagt Christina Hoffmann-Möller.

Das jahrzehntelange Engagement der beiden Chorleiterinnen, die hauptberuflich als Musiklehrerinnen in Tempelhof respektive Schöneberg arbeitet haben, wurde inzwischen nicht nur mit dem Bundesverdienstkreuz gewürdigt, sondern auch mit der Geschwister-Mendelssohn-Medaille des Berliner Chorverbands.

Amtsmüdigkeit lassen die beiden Rentnerinnen beim Gespräch aber nicht erkennen. Nach den Jubiläumskonzerten, die unter dem schön doppeldeutigen Motto „Fifty /Fifty“ am 23. und 24. September im Joseph-Joachim-Konzertsaal der Universität der Künste stattfinden, wird die Arbeit mit dem musikalisch-politischen Material nahtlos fortgesetzt. Ganz nach dem Lebensmotto des Berliner Kultursenators Joe Chialo: „A luta continua“, der Kampf geht weiter.

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