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Zehn Tage lang steht die Stadt ganz im Zeichen der Berlinale.

© Jens Kalaene/dpa

65. Berlinale: Weil wir träumen - und uns das nicht nehmen lassen

Zehn Tage lang Berlinale - das ist Ausnahmezustand und wuselige Utopie. Vor allem aber ist es ein politisches Festival. Weil Filme verteidigen, was Gewalt und Terror nicht zulassen wollen: Widerrede, Schönheit, Witz, Träume. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christiane Peitz

Berlin, das ist der Swingerklub „Zwanglos“ und die Gemäldegalerie, die Staatsoper und das Berghain. Passt nicht zusammen? Das Magazin „The Hollywood Reporter“ empfiehlt amerikanischen Berlinale-Gästen genau diese Adressen, sollten sie mal aus dem Kino rauskommen.

Was nicht passt, geht wunderbar zusammen. So funktioniert auch die Berlinale, zehn Tage lang, überall in der Stadt. Die 65. Berliner Filmfestspiele bieten „Shades of Grey“ und Technicolor-Retro, Glamour und Underground, sie präsentieren denkbar unterschiedliche Filme und weiten den Blick. Auf das Fremde und Ferne, das Seltsame, Randständige, all das, was es in diesen Tagen von Pegida und „Charlie Hebdo“ mehr denn je zu verteidigen gilt. Über 400 Filme jedweder Couleur, dazu ein diskutierfreudiges Publikum: Das Spektrum ist riesig. Gäbe es die Berlinale-typische Neugier auf andere Lebenswelten auch sonst, wäre Deutschland tatsächlich eine tolerante, offene Gesellschaft.

Berlinale ist Ausnahmezustand, eine wuselige Utopie, ein öffentlicher Raum, so groß wie in Berlin sonst nur beim Karneval der Kulturen oder bei der WM. Dieser Raum ist gefährdet, mit den Pariser Anschlägen wurde das schmerzlich bewusst. Eine Berlinale unter Polizeischutz kommt nicht infrage, sagt Festivaldirektor Dieter Kosslick, verspricht diskrete Sicherheitsmaßnahmen und betont, dass das Programm dafür einstehen muss. Für die Freiheit des Ausdrucks, des Bilds, der Fantasie – es sind Grundpfeiler der Demokratie, der Zivilgesellschaft.

Die Berlinale wird gern das politischste Filmfestival genannt. Aber was bitte ist ein politischer Film? Ist Andreas Dresens Leipzig-Film „Als wir träumten“ unpolitisch, weil er auf Bilder von den Montagsdemos verzichtet und lieber die Anarchie der Wende-Jugend zeigt? Ist „Taxi“ aus dem Iran der politischere Wettbewerbsbeitrag, weil Jafar Panahi ihn trotz Berufsverbot drehte? Auf der Berlinale werden nicht mehr politische Filme gezeigt als anderswo. Aber Berlin, diese wunderbar ruppige Stadt, schreibt es sich deutlich auf die Fahnen. Clash der Kulturen? Ja bitte, wo sonst, wenn nicht hier, im Freiraum der Fantasie.

Künstler sind die letzten Abenteurer, sagt Wim Wenders, der dieses Jahr den Goldenen Ehrenbären erhält. Weil sie die Welt neu entdecken und Verdrängtes ans Licht bringen, Religionswahn und Terror des 20. Jahrhunderts. Weil sie verkannte Helden feiern, Heldinnen zumal, besonders viele dieses Jahr, mutige Frauen, Feministinnen avant la lettre. Und weil die Filme verteidigen, was Gewalt und Terror nicht zulassen wollen: die Widerrede, die Schwäche, die Schönheit, den Witz, den Traum. Sind Träume unpolitisch?

Bilder können aufklären, sie können auch verblenden und verletzen. Mit ihnen und gegen sie werden Kriege geführt. Seit „Charlie Hebdo“ wird darüber viel diskutiert. Während Nordkorea der Berlinale wegen der Diktatorkomödie „The Interview“ drohte (der Film läuft gar nicht auf dem Festival, startet nur zeitgleich im normalen Kino), schikaniert Südkorea das wichtigste asiatische Filmfestival in Busan. Weil dort ein kritischer Dokumentarfilm über das Fährenunglück lief, stehen die Festivalmacher jetzt unter massivem politischen Druck. Südkorea ist eine Demokratie. Ein Festivalzirkus, unbehelligt von jeglicher politischen Einflussnahme, ist keine Selbstverständlichkeit. Sondern ein kostbares Gut.

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