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Die reumütige Tochter. Nurhan wird von ihrer Adoptivfamilie zum Vater zurückgeschickt.

© Liman Film, Komplizen Film, Circe Films, Horsefly Productions

„A Tale of Three Sisters“ im Berlinale-Wettbewerb: Bauer sucht Schwiegersohn

Gefangen in Anatolien: Emin Alpers komisches Gesellschaftsporträt „A Tale of Three Sisters“ im Wettebwerb spielt mit Märchenmotiven.

Von Andreas Busche

Der Weg über den gewundenen Bergpass ist beschwerlich, wenigstens offenbart der Blick durch die Windschutzscheibe ein schroffes Landschaftspanorama im tiefsten Anatolien. Doch die rustikale Schönheit trügt. Die Autofahrt endet in einem Bergdorf, in dem der Bürgermeister noch Dorfvorsteher heißt. Das Mädchen Havva ist wieder am Ausgangspunkt ihres kurzen Ausflugs in die Stadt zurückgekehrt: im Schoß der Familie. An der Haustür empfängt sie der Vater. Auch ihre älteste Schwester Reyhan lebt mit ihrem Baby und ihrem tumben Ehemann Veysel, dem Schafhirten der Dorfgemeinschaft, wieder in der viel zu kleinen Hütte. Ein soziales Gefängnis.

Emin Alper hat für seinen dritten Langfilm „A Tale of Three Sisters“ nicht zufällig einen märchenhaften Titel gewählt. Wie schon in seinem Debüt „Beyond the Hills“ erzählt der türkische Regisseur eine Geschichte aus der anatolischen Provinz, diesmal jedoch nicht mit dem süffisanten Unterton einer Gesellschaftssatire, sondern als eine Art Volksmärchen. Seine drei Töchter hatte der mittellose Bauer Sevket (Müfit Kayacan) zu wohlhabenden Familien in die Stadt geschickt. Die „Besleme“-Tradition ist eine Form des sozialen Aufstiegs – für viele Familien im ländlichen Teil der Türkei auch die einzige.

Rückzug ins Private

Die Hoffnungen auf ein besseres Leben für die drei Mädchen zerschlagen sich, als eine nach der anderen zurückkehrt. Reyhan (Cemre Ebüzziya) ist vom Hausherren ihrer „Adoptivfamilie“ geschwängert worden, notgedrungen verheiratet der Vater die entehrte Tochter an den Dorfidioten. Havva (Helin Kandemir) muss miterleben, wie der kleine Sohn ihrer neuen Familie stirbt, der Verlust bereitet ihr Albträume. Als auch noch die rebellische Nurhan (Ece Yüksel) vor der Tür steht, weil der im Dorf angesehene Necati sie rausgeschmissen hat, steht die Familie wieder am Anfang. Plötzlich leben die Tochter wieder unter einem Dach, aber die unsichere Zukunft legt unterschwellige Rivalitäten und Eifersüchteleien zwischen den Schwestern offen.

Alper hat schon in „Beyond the Hills“ gezeigt, wie diskret er aus solchen familiären Konstellationen, in denen jedem ein angestammter Platz zukommt, weitreichende Beobachtungen sozialer Milieus herleiten kann. In dem paranoiden Sozialdrama „ Abluka – Jeder misstraut jedem“ über einen Hundefänger, der für die Regierung spioniert, wurde sein Blick schon dezidiert politisch. Seine scharfe Beobachtungsgabe hat sich Alper auch in „A Tale of Three Sisters“ bewahrt, dennoch enttäuscht sein Rückzug ins Private, nachdem er sich im türkischen Kino gerade als politische Stimme zu positionieren schien.

Codes für unterdrückte Begehren

„A Tale of Three Sisters“ wirkt mit seiner Anverwandlung von freien Märchenmotiven – ähnlich wie die letzten Filme von Nuri Bilge Ceylan – etwas altmeisterlich, die Farben changieren im schummerigen Interieur der Hütte zwischen Nussbraun und Bernstein. An den niederländischen Meistern habe er sich orientieren wollen, sagt Alper. Zu einer Kritik des traditionellen Lebens, ein typischer Reflex der Rezeption der Türkei im Westen (etwa in Deniz Gamze Ergüvens hochgelobtem Schwesterndrama „Mustang“), lässt er sich nicht hinreißen. Alper interessiert sich stärker dafür, welche Auswirkungen die traditionellen Rollenmodelle für die Menschen haben.

Reyhan, Havva und Nurhan leider an den Strukturen, arrangieren sich aber jede auf ihre Weise mit den Traditionen. Während die Männer am Lagerfeuer Klartext reden – Sevket will Necati seine jüngste Tochter anbieten – entwickeln die Mädchen Codes für ihre unterdrückten Begehren. Bei der Ayran-Produktion an einer quietschenden Holztrommel, die Reyhan und Hazza ächzend hin und her stoßen, klärt sie ihre jüngere Schwester detailliert über ihre „ehelichen Pflichten“ auf – um dann im Wald notgeil über ihren besoffenen Ehemann herzufallen. Alper findet immer wieder Komik in den Verwerfungen dieser sozialen Konstellationen.

12.2., 12.30 Uhr Zoo Palast, 15.15 Uhr Friedrichstadtpalast, 19 Uhr HdBF, 17.2. Friedrichstadtpalast

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