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Kultur: Ab in die Freiheit

Die Trennung von Tanz und Schauspiel an der Schaubühne ist hart. Aber sie birgt auch Chancen

Das Wort Skandal mag einem bei der Auseinandersetzung um die Schaubühne und den Tanz nicht über die Lippen kommen. Auch von einer existenzbedrohenden finanziellen Notlage für die eine oder andere Partei kann man nicht wirklich sprechen. Gewiss: Die Schaubühne muss Verzicht üben. Das Team um Regisseur Thomas Ostermeier hat, wenn der Hauptausschuss heute im Berliner Abgeordnetenhaus die im Unterausschuss Theater gefundene Trennungslinie bestätigt, in Zukunft nur mehr 11, 7 Millionen Euro pro Jahr an Zuschüssen zur Verfügung.

Unstrittig ist auch: Sasha Waltz und ihre Compagnie werden in Zukunft in der Selbstständigkeit mit weniger Geld auskommen müssen: 1,475 Millionen Euro jährlich. 875000 Euro kommen vom Hauptstadtkulturfonds, 600000 Euro aus dem Etat der Schaubühne, der über fünf Jahre lang ein gemeinsamer von Schauspiel und Tanz gewesen war.

Große Aufregung in der Szene – aber der Untergang des Abendlandes wird hier nicht aufgeführt, auch wenn der Theaterredakteur der „Süddeutschen Zeitung“ vom „Berliner Theatersterbegeld“ raunt und die Tanzkritikerin der „Frankfurter Allgemeinen“ den Tanz auf breiter Front als Verlierer sieht, weil das immer schon so gewesen sei. Das sind in der Tat die Klagelieder von gestern. Durchsichtig wirkt auch Thomas Ostermeiers Drohung, er könne Berlin ja den Rücken kehren und/oder sein Konzept eines zeitgenössischen Theaters nach der Etatkürzung nicht fortführen.

Hier wird es unappetitlich, bisweilen lächerlich. Thomas Ostermeier und Sasha Waltz reden seit einem Jahr nicht mehr miteinander. Das wunderbar gedachte Experiment, zeitgenössischen Tanz und zeitgenössisches Schauspiel unter einem Dach zum Blühen zu bringen, ist am Ende so fürchterlich gescheitert, wie es nicht einmal die größten Pessimisten seinerzeit befürchtet hatten.

Wenn es in einer Erklärung von Sasha Waltz jetzt heißt: „Die Entflechtung von Tanz und Schauspiel ist äußerst komplex, es gibt dafür keinen Präzedenzfall in der deutschen Theatergeschichte“, ist das zutreffend, aber auch untertrieben. Weil von einem einmaligen, großen Projekt nur das Gezerre um das Geld übrig geblieben ist. Und dieses Geld war immer schon zu knapp.

Die Schaubühne sagt zu Recht, sie sei seit Jahren unterfinanziert. Der Tanz hat damit nichts zu tun. Die Schaubühne als Institution ist auch älter als das Ostermeier-Theater. Was sie an Zuschüssen hat, oder was ihr fehlt, wobei etliche Kultursenatoren die Tatsache der Unterfinanzierung anerkannt haben, ist historisch gewachsen. Vor Ostermeier & Waltz gab es an der Schaubühne einige verlorene Jahre – eine lange Zeit des Übergangs, gesucht wurde eine neue Generation nach Peter Stein, Luc Bondy, Andrea Breth. Mit vereinten Kräften haben Ostermeier und Waltz den Aufbruch ins 21. Jahrhundert geschafft. Jenseits der monetären Hysterien und tatsächlichen ökonomischen Probleme liegt hier der dicke Hund begraben: Man mag sich die Schaubühne ohne das Tanztheater nicht recht vorstellen. Die „Entflechtung“, von der Sasha Waltz spricht, ist ein Euphemismus für den künstlerischen Verlust, der am Lehniner Platz droht. Auf längere Sicht haben die Rosenkrieger das Kooperationsmodell von Tanz und Schauspiel diskreditiert, nicht nur für Berlin. Kein Kulturpolitiker wird sich auf eine solche große Koalition noch einlassen.

Betrachtet man den Ausgang des Konflikts etwas gelassener, zeichnen sich auch Perspektiven ab. Angesichts der allgemeinen Berliner Haushaltslage kommt es einer kleinen Sensation gleich, dass Sasha Waltz& Guests nun über einen eigenen Haushaltstitel verfügen, mag er auch noch nicht groß genug sein. Darauf lässt sich aufbauen. Sasha Waltz hat das begriffen, sie schaut nach vorn: „Die Compagnie ist bereit, sich den Risiken der kommenden Jahre zu stellen, und wird für ihre Unabhängigkeit und künstlerische Freiheit mit kreativen Partnern und unternehmerischen Lösungen neue Partner suchen.“

Auch die Schaubühne wird Mittel und Wege finden. Berlin braucht dieses Theater, und Kultursenator Thomas Flierl hat bereits Unterstützung angekündigt. Und häufig wird vergessen: Die Entflechtung von Ballett und Oper in Berlin dauerte zehn Jahre. So könnte man jetzt auch sagen: Dank Sasha Waltz hat die hauptstädtische Kulturpolitik dazugelernt. Und in dem Maße, wie die Schaubühne glaubt, zu Gunsten des Tanztheaters etwas zu verlieren, hat sie in den letzten Jahren von ihm profitiert. Allein wäre keiner dahin gekommen, wo er jetzt ist.

Rüdiger Schaper

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