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Kultur: Aber der Wagner, der rollt

Oper tut Not: Frank Castorf, Jonathan Meese und die Volksbühne stemmen in Luxemburg die „Meistersinger“

Meisterschaft ist im Moment ein richtig heißes Thema, nicht nur wegen Fußball. Da lief diese irre Kampagne gegen Simon Rattle, weil der angeblich den Berliner Philharmonikern den deutsch-romantischen Klang austreibt, und Peter Handke, ein Sprachmeister aus Österreich, wird sich seine Preislorbeeren künftig in Serbien abholen müssen. Scheibenkleister für den noblen Heine-Preis!

Meister fallen nicht vom Himmel, aber flott in die Hölle des Kulturbetriebs. Und nun das: Wagner mit singenden Schauspielern! Hans Sachs & Co. als Handwerkskammerspiel! Frank Castorf als deutscher Meister! Bizarr. Aber es gibt schlechtere Witze. Und vielleicht meinen sie es ja auch ernst mit ihrer Wagneriade, die Volksbühnen-Musikanten.

Deutsche Wertarbeit, ob Meisterwerk oder Lehrbubenstück, ist teuer. Deswegen stieg Castorfs Wagner-Debüt, das sich, ohne bestimmten Artikel, als frei bleibendes Unterhaltunsangebot „Meistersinger“ nennt, im Großherzogtum Luxemburg. Am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin ist diese Euro-Koproduktion (mit Partnern auch in Paris und Kopenhagen) im September zu sehen. Das Luxemburger Grand Theatre hatte auch schon für Sasha Waltz’ hinreißende „Dido & Aeneas“ Geld gegeben. Der Choreografin eröffnete die Oper gleichfalls neue Räume.

Im Grunde ist Frank Castorf seinen Regiefreunden jetzt nur nachgefolgt. Denn es führt ein kurzer Weg von der Volksbühne zu Richard Wagner. Viele sind ihn gegangen: Heiner Müller, Christoph Schlingensief, Christoph Marthaler und eben auch Frank Castorf. Es liegt einerseits in der Logik des Spektakel-Theaters, wie hier mit Macht das musikalische Drama durchschlägt. Und andererseits scheint das Chaos des Schauspiels an der Volksbühne schon lange aufgebraucht. Oper ist heilsam. Und Wagner eine ideologisch-ästhetische Fundgrube – zwischen Barrikade und Walhalla, Wahn und Gesamtkunstwerk. Richard Wagner würde heute nicht in Bayreuth, sondern an der Berliner Volksbühne wirken. Man vergleicht ihn hier mit Stalin, das gehört in diesem Haus zum guten Ton.

Die „Meistersinger“, ein Modell. Mit zweidreiviertel Stunden halb so lang wie das Original. Die alten Nürnberger Handwerksrollen – ebenso auf die Hälfte reduziert. Das Orchester: zwei Klaviere und fünf Bläser. Die Miniaturfassung stammt von Stefan Wirth, Christoph Keller (er hat die musikalische Leitung am Abend) und Christoph Homberger. Der Tenor singt den Part des Revoluzzers Walther von Stolzing – und Homberger, ein bei Marthaler erprobter Musikakrobat, ist hier auch der Einzige, der durchsingt. Tapfer, unverdrossen, komisch in seiner Tragik und ein bisschen tragisch, wenn er komisch aufträgt. Ein Sänger, der seine Seele nie verbergen kann. Die anderen Meister im Wettstreit um Liebe und Ehre sind, kaum zu glauben, Volksbühnenakteure, die nach der Tonhöhe der Partitur deklamieren. Das funktioniert, wenn man sich klarmacht, dass Wagners „Meistersinger von Nürnberg“ neben allem anderen ein Singspiel, eine komische Oper sind. Sagte da jemand Musical?

Nichts für Puristen, aber auch nichts für Opernhasser. Castorf und seinem so heterogenen Ensemble (auf der Bühne bewegen sich, wie Schatten der Schauspieler, auch noch drei weitere Sänger) geht es nicht um Parodie. Dafür wäre schon der Aufwand viel zu groß: Da steht der dreißigköpfige „Chor der werktätigen Volksbühne“ in Straßenkleidung an der Rampe, Leute aus allen Gewerken des Hauses, und singt rührend schön. Auch das passt. Weil es ohne Techniker und Arbeiter keine Meister gibt. Und keine Volksbühnenfeier ohne Jonathan Meese.

Neo-Wagnerianer, Mythen-Wühler, his master’s Beuys: Meese hängt die Bühne mit Lappen und Fahnen zu. „Rübezahl, Manitou, Fort Knox, Ölprinz, Saloonbolschewismus“, man kennt seine Schlagworte, seine entgleisenden Schriftzüge. JAIL steht da in Großbuchstaben, Meeses Leitmotiv für Wagner: Knast. Kunstgefängnis. Aus Pappe und Sperrholz eine Art Burg oder Berg mit Türmchen und Spitzen, aus dessen Versatzstücken sich das Wort GOTT bilden lässt und dann gleich wieder weggeräumt wird. Kotzende Holzpferde, ein golden angestrichener Kübelwagen der Wehrmacht, in dem die Meisterwerker auf die Bühne gebrettert kommen, mit Spezialauspuff für Theaterzwecke. Meeses reichhaltiger Plunder: ein Wagner-Castorf-Einheitsbühnenbild, auf das sich bauen ließe. Einen „Ring“ vielleicht oder „Parsifal“. Und wenn sich das Meese-Monster mit langer Mähne und Trainingsjacke nachher auf die Bühne wirft, eine Musikerin ergreift, herumschleift und markerschütternd brüllt: „Paracelsus liebt dich doch! Hab keine Angst, Saint-Just ist bei dir! Komm mit ins Paradies! Komm mit nach Alcatraz! Komm mit in die neutrale Diktatur! Komm mit zu Richard Wagner!“, dann sind wir schon lange drin. Im Meister-Schlamassel, im Zitatenkrieg.

Castorf wirft Passagen aus Ernst Tollers Revolutionsdrama „Masse Mensch“ ins Getümmel. Variationen des Totalitären: Geniekult, Massenaufmarsch. Die Nationalsozialisten haben das zusammengeführt, aber daran rührt Castorf nicht: an die Hitlerei und Wagner. Was man aber sieht: Meese Mensch, diese permanent mit sich selbst beschäftigten, wie Kinder neugierigen Künstler, machen alles mit, jede Albernheit, jede Schweinerei.

„Die Meistersinger von Nürnberg“, das war im Grunde immer schon, wie man es auch dreht und wendet, „Deutschland sucht den Superstar“ anno 1868. Meese steckt die Helden, auch den kräftigen Homberger, in knallenge Leibchen, die Frauen in Kleider mit fliegenden Capes. Doch abheben wird hier niemand, es sind die bodenständigen, grundfleißigen Volksbühnen-Typen mit ihrem derben Humor am Werk. Bernhard Schütz als Hans Sachs: eine Idealbesetzung, wenn man die proletarisierende Wagner-Spielart akzeptiert. Schütz hat immer Recht, mit allem was er anpackt, es mag noch so absurd sein. Sachs ist Lustspieldichter und Schuster, Schütz bleibt bei seinen Leisten: reißt den Lehrbuben die Latschen von den Füßen, taugt nichts, ausländischer Mist! Auch Max Hopp, Beckmesser, ist ein sympathischer Typ – den betrügerischen Oberkritiker hat Castorf gegenüber Wagner voll rehabilitiert. Axel Wandtke als Bäcker Kothner, Winfried Wagner, der Älteste im Ensemble, als Lehrbub: alles ehrbare Leut’, lustige Gesellen. Sophie Rois, das Evchen, schwebt wie ein Schmetterling durchs Bild, und von Silvia Rieger wusste man, dass sie singen kann, nicht nur die „Habanera“ in so vielen Castorf-Inszenierungen.

Trotz all dem Gemeese, all der Herumtollerei schafft Meister Frank eines: Man hört sich Wagner an, auch weil man ihn so jetzt einmal viel besser hören kann. Auf angenehme Weise ist dies gut gesteuerte Chaos ausgesprochen post-meisterlich. Ein Musiktheater, ein Theater um Musik, das zeigt, wie es sich selber macht, eine Art backstage comedy der heiligen Oper. Früher hat man Castorf einen Dekonstruktivisten genannt, bei den „Meistersingern“ passiert das Gegenteil. Muss man sich sorgen? Er baut auf und zusammen. Am Produktionsprozess liegt es auch, dass dem Abend die überwältigende Energie fehlt, die letzte Überzeugungskraft. Weil es verdammt schwer ist, zu singen. Nicht verkehrt zu singen und dabei ein Mensch zu sein, der sich nicht verstellt.

Rüdiger Schaper

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