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Kultur: Abgeschossen

Wie Europäer auf Inder herabsahen: „Das Koloniale Auge“ im Berliner Fotomuseum.

Ihr Blick brennt. Mit gesenktem Kopf schaut die junge Frau vom Stamm der Toda in die Kamera. Zornig, schüchtern oder selbstbewusst? Wird sie vom Fotografen zum Objekt degradiert? Oder beobachtet sie selbst interessiert eine fremde Welt? Augen, Blicke, Perspektiven – die 300 Bilder der Ausstellung „Das Koloniale Auge“ im Berliner Museum für Fotografie wirken irritierender und vielschichtiger, als es der auf politische Korrektheit bedachte Titel vermuten lässt.

Zum ersten Mal ist die Sammlung früher indischer Porträtfotografie aus dem Ethnologischen Museum zu sehen. Sie galt lange als verschollen. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten sowjetische Truppen einen Großteil der Fotos aus dem damaligen Museum für Völkerkunde nach Leningrad gebracht. Erst 1978/79 wurden sie nach Leipzig zurückgegeben, nach der Wende gelangten sie nach Berlin.

Im 19. Jahrhundert erwarben deutsche Forschungsreisende umfangreiche Konvolute aus indischen Porträtstudios für das Berliner Museum. In Indien hatte sich die Fotografie früh und schnell verbreitet, schon in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts eröffneten Studios in Bombay, Madras und Kalkutta. Die brillantesten Porträts in der Ausstellung stammen von Bourne & Shepherd, zwei englischen Fotografen, die 1863 ein Atelier gründeten, das bis heute existiert. Albert Edward, der Prince of Wales, nahm ihre Bilder indischer Maharajas nach seiner Reise durch die Kolonie mit nach Hause. Die Fürsten posieren in prächtigen Uniformen mit diamantbesetzten Turbanen im Kreis ihrer Gefolgschaft. Die Hand am Säbel, ein Fuß in Siegerpose auf einen Schemel gestellt, verraten ihre Gebärden die Lust an opulenter Inszenierung. Der Fotograf wählt die leichte Untersicht wie bei den Porträts europäischer Adeliger.

Fragwürdig wird die Fotografie dann, wenn sie sich in den Dienst der Ethnologen begibt und sich zur Handlangerin einer dubiosen Rassenkunde macht. Die entwürdigenden Dokumente der Anthropometrie, der Vermessung des Menschen, sind in gesonderten Vitrinen ausgestellt. Sie belegen die Exzesse europäischer Arroganz. Emil Riebeck lockte bei seinen Expeditionen Eingeborene mit Schnaps vor die Kamera. Halb nackt stehen sie mit der Messlatte in der Hand vor einem romantischen Prospekt.

Albert Thomas Watson Penn fotografiert 1877 eine Gruppe Hungernder. Ein Mann steht aufrecht mit stolzem Blick an den Pfosten einer Bambushütte gelehnt. Die anderen kauern um ihn herum, ausgezehrt und kraftlos. Penn hat das Bild nachträglich retouchiert, hat die Knochen mit weißem Stift überhöht, so dass sie durch die Haut zu stechen scheinen. Man spürt die europäische Sehnsucht nach Unverfälschtheit. Die Fotos wollen eine unberührte Wildnis festhalten und zerstören, was sie bewahren möchten. Simone Reber

Das Koloniale Auge – frühe Porträtfotografie in Indien. Museum für Fotografie, Jebensstraße 2, bis 21. Oktober, Di–So 10 bis 18, Do bis 22 Uhr. Katalog 39,90 €.

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