zum Hauptinhalt
Das Salz des Lebens. Ein kongolesischer Arbeiter beim Entladen eines Lastschiffs in Kalemie am Westufer des Tanganjikasee im März 2018.

© Karlheinz Schindler/dpa

Hans Christoph Buchs neuer Roman: Abschied vom Krieg

Hans Christoph Buch zieht Bilanz aus seinem Leben als Krisenjournalist und Schriftsteller. „Stillleben mit Totenkopf“ ist ein hartes Selbstgericht und eine berührende Hommage an Weggefährten.

Andächtig steht er da, der Mönch in seiner groben Kutte mit den weiten Ärmeln, in seinen zu einer Schale geformten Händen hält er einen Totenschädel, wie ein kostbares sakrales Objekt. Das Bild, das auf dem Umschlag des neuen Romans von Hans Christoph Buch zu sehen ist, zeigt ein klassisches Vanitas-Motiv, ein Gemälde des spanischen Malers Francisco de Zurbarán, ein epochales Motiv der Vergänglichkeit. Mit diesem „Stillleben mit Totenkopf“ wird die dunkel getönte Grundmelodie dieses autobiografischen Romans angeschlagen, in dem Buch so konzentriert und entschlossen wie nie zuvor die Urszenen seines Lebens ausleuchtet.

Das „Stillleben“ wird eröffnet mit einem langen Gedicht, einem atemlosen Monolog, den der Autor in einer schlaflosen Nacht in der Zentralafrikanischen Republik im August 2017 schrieb, als er ernsthaft erkrankt und in eine Lebenskrise geraten war. Dieses lange Gedicht enthält sämtliche Ingredienzen des Romans, der nach „Baron Samstag“ (2013) und „Elf Arten, das Eis zu brechen“ (2016) seine autobiografische Trilogie abschließt.

Es ist ein Schreiben auf Augenhöhe mit dem Tod, vor dem der Icherzähler die Stationen des eigenen Lebens Revue passieren lässt: „Der Weg ist das Ziel der Tod ist ein / dumpfer nein stechender Schmerz in der Brust die / Schutthalde der Philosophie im Rücken die Fata / Morgana der Literatur vor Augen verstorbene / Freunde winken dir zu Komm rüber zu uns!“

Tatsächlich stehen die „verstorbenen Freunde“ im Zentrum dieses episodisch und anekdotisch locker geflochtenen Romans, wobei die Erinnerungsarbeit von Buch keineswegs nur tragisch gestorbenen Schriftstellerkollegen wie Lothar Baier oder dem an einem Bissen Wurst erstickten Lyriker Wolfgang Maier gilt. Auch Jugendfreunden widmet der Autor ergreifende Hommagen, etwa dem ehemaligen Läufer und 400-Meter-Europameister Johannes Schmitt (der im Roman Hanno Schütt heißt), dem Experimentalfilmer Harun Farocki oder einem engen Weggefährten der 68er-Revolte, der hier den Namen Klaus Habermüller trägt.

Zeugnis der Desillusionierung linker Intellektueller

Es sind intensive, berührende Porträts, die hier zu einem Requiem gefügt sind, in dem der Erzähler – frei nach Henrik Ibsens Definition des Dichtens – immer wieder Gerichtstag hält über sich selbst. Seinen sprunghaften Weggefährten Habermüller lässt er einen Satz sagen, der den Auftakt bildet zu einem ernüchternden Gruppenbild einer gesellschaftskritisch auftrumpfenden Dichtergeneration: „Ihr Literaten macht es euch leicht“, konstatiert der von der Revolte berauschte Genosse. Tatsächlich zeigt der Roman mit beträchtlicher Kraft zur Desillusionierung, wie die Selbsterhöhung der linken Intellektuellen unaufhaltsam zerfällt.

In „Stillleben mit Totenkopf“ gibt es einige Schlüsselszenen, in denen diese tragikomischen Prozeduren des Sich-leicht-Machens sichtbar werden. Als literarischer Wunderknabe trat der 19-jährige Diplomatensohn Buch 1963 auf dem Treffen der Gruppe 47 im schwäbischen Saulgau vor die Matadore des Betriebs und trug eine kunstvoll ins Groteske gezogene Geschichte vor. Eine Probe jener „Unerhörten Begebenheiten“, mit denen er dann 1966 bei Suhrkamp debütierte. In den Jahren der Politisierung geriet der Erzähler Buch in die Krise und schlug sich in seinen Essays der 1970er Jahre mit den branchenüblichen Legitimationsproblemen eines „operativen“ Autors herum.

Abgestumpft vom Dasein als Kriegsreporter

Einen Ausweg bot in den späten 1980er Jahren die freiwillige Verwandlung des Schriftstellers in einen Kriegsreporter. Mit der damit verbundenen Größenfantasie wird nun aufgeräumt. Hans Christoph Buch, der ab 1995 von Haiti bis Kambodscha und Ruanda alle Krisenregionen und Bürgerkriegsschauplätze durcheilte, betrachtet sich recht unbarmherzig: „Und ich ertappte mich dabei, dass ich enttäuscht war, wenn kein Blut floss in einem Kriegs- oder Krisengebiet, denn bald schon war ich dermaßen verroht und abgestumpft, dass mir Extremsituationen normal vorkamen, während ich die sogenannte Normalität unerträglich fand. Die Erfahrung von Krieg und Gewalt hatte sich verstetigt und verfestigt zu einer Sucht, und wie ein Junkie brauchte ich immer stärkere Dosen der Droge, um weiterzumachen.“

Im Gericht mit sich selbst. Schriftsteller Hans Christoph Buch.
Im Gericht mit sich selbst. Schriftsteller Hans Christoph Buch.

© picture alliance / dpa

Der Kriegsreporter entdeckt das Böse in sich selbst – jenen Abgrund, in den er fortan blicken muss, wenn er als Augenzeuge und Chronist wieder einmal von einem Massaker berichtet. Wie in seinen stärksten Büchern, dem Roman „Die Hochzeit von Port-au-Prince“ (1984) und dem autobiografischen Band „Elf Arten, das Eis zu brechen“, wählt Buch für seine Lebenserzählung wieder die Form des Triptychons. Im dritten Teil dieses Triptychons, den sehr lakonischen „Erinnerungen an den Literaturbetrieb“, sind es allerdings nicht die Begegnungen mit den Weltpoeten Joseph Brodsky und Susan Sontag, die am meisten faszinieren. Es ist vielmehr die erschütternde Hommage an Lothar Baier, die als Lehrstück für die tragische Rückseite des Literaturmarkts gelesen werden darf.

Bleibt engagiert

Um die Jahrtausendwende hatte Baier, bis dahin einer der exzellentesten Publizisten Deutschlands, der Ekel vor den Mechanismen eines unfasslich indifferenten Literaturbetriebs erfasst. Er verließ Deutschland und erwarb in Kanada ein Haus, in der Nähe von Montreal. Nach und nach verlor er seine Arbeitgeber, seine Liebesbeziehung nahm ein desaströses Ende und der Verdruss an der Geschichtsblindheit seiner Kollegen nahm zu. Im Juli 2004 wählte er den Freitod. Baiers Geschichte ist nur ein finsteres Beispiel für einen dem „Jugendwahn“ erlegenen Literaturbetrieb, in dem vielen Älteren die Existenzgrundlage wegbricht.

Im „Anhang“ steht dann als überraschende Coda ein „offener Brief“ und Appell des Autors an den amtierenden Bundespräsidenten, im Blick auf die völlig verarmte und ausgeplünderte Zentralafrikanische Republik eine wirkungsmächtige Afrika-Initiative zu starten. In den Kapiteln davor hatte Buch den Schriftsteller aus seiner alten Rolle als öffentlicher Intellektueller entlassen. Auf den engagierten Autor möchte er offensichtlich doch nicht ganz verzichten.

Hans Christoph Buch: Stillleben mit Totenkopf. Roman. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt a. M. 2018. 250 Seiten, 20 €.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false