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Kultur: Ach, Grisha

Erinnerung an Gregor von Rezzori

Heute hätte er seinen 90.Geburtstag gefeiert, vermutlich auf seinem Anwesen in der Toskana. Er hätte Geschichten erzählt, Frauen die Hand geküsst, Personen und Dialekte nachgemacht, bis sich die Gesellschaft vor Lachen geschüttelt und irgendjemand sich voll Vergnügen die Tränen aus den Augen gerieben hätte und glücklich geseufzt: „Ach, Grisha!“

Das Haus in der Toskana bezeichnete eines der Zentren im Leben des Gregor von Rezzori, das andere lag in der 66. Straße in New York, und ein festes drittes Zentrum bildeten die vielen Orte seiner Erinnerung, festgehalten in großen Romanen und kauzigen Geschichten.

Rezzori war ein Kosmopolit aus der Bukowina. „Eher ein Metropolit“, sagte Bruce Chatwin, der den älteren Kollegen sehr verehrte und ungern einem Wortspiel aus dem Wege ging. „Grisha war das Zentrum“, sagte Paul Auster auf der Trauerfeier in New York, „dazu musste er nur den Raum betreten.“ „Nicht einmal die Möpse haben mich gestört“, sagte Michael Ondaatje, der zu diesem Anlass aus Kanada gekommen war und eine empfindliche Nase hat.

In Deutschland beginnt Rezzoris Ruhm in den Fünfzigerjahren mit einer Sammlung von Anekdoten, den „Maghrebinischen Geschichten“, von denen selbst der Verleger nicht glaubt, dass sie ohne das Gesicht, die Stimme, den Auftritt des Erzählers ihr Publikum erobern könnten. Spätestens nach der dritten Auflage wird dieser Verleger, es ist Ledig-Rowohlt, seine Meinung ändern.

„Ein Hermelin in Tschernopol“, Rezzoris erster ausgereifter Roman, verblüfft 1958 ein Publikum, das sich auf weitere Schnurren eingestellt hat. Auch hier geht es häufig urlustig zu, doch der aufmerksame Leser entdeckt, dass manche dieser „lustigen“ Elemente eingestreut sind wie Safran, das die Köche der Bukowina gern auch zum Quälen ihrer Gäste benutzen.

Verscherzt hat es sich Rezzori mit den Deutschen, als er vom Antisemitismus schreibt. Hannah Arendt musste die Figur Eichmanns wie die Gestalt eines Dramas analysieren, um das Banale des Bösen zu entdecken. Rezzori beschrieb mit scheinbar heiterem Augenzwinkern dasselbe Grundmuster des Bösen in den Selbstverständlichkeiten der Gesellschaft, in der er aufgewachsen ist. Für ihn war Antisemitismus keine Krankheit mit klinischem Verlauf, sondern ein traditioneller Webfehler, der leider das Zeug dazu hat, modisch zu werden.

Derlei Aussagen verzeiht eine Öffentlichkeit, die auf das Attribut „kritisch“ großen Wert legt, keinem Autor. Zumal wenn dieser Autor offenbar behaglich in der Toskana lebt und so unbetroffen-behaglich daherkommt. Dass er seine Werke in einer Sprache verfasste, die an Joseph Roth erinnert, an Franz Werfel oder an Heimito von Doderer, machte die Sache nicht besser. Damals.

„Nach meinem Tode wird sich das ändern“, prophezeite Rezzori, „für mich kommt das leider etwas zu spät.“ Zu seinem 90.Geburtstag beginnt der Berlin Verlag mit der Neuausgabe des „Hermelin in Tschernopol“ nun eine Edition des Gesamtwerkes. Prophezeiungen, die in Erfüllung gehen, sind kein schlechtes Geburtstagsgeschenk.

Der Autor ist Mitherausgeber der Edition und lebt als Schriftsteller in München.

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