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Kultur: Achtung, dichtendes Subjekt!

POESIEFESTIVAL

Wer schmuggelt, muss manchmal weite Wege in Kauf nehmen, um seine Fracht ans Ziel zu bringen. Mit besonderer Vorsicht sollte der vorgehen, der empfindliches, zerbrechliches Gut in Obhut genommen hat. Eines, das schon bei minimalen Erschütterungen die Form verliert, verblasst und im schlimmsten Falle gar nicht mehr wiederzuerkennen ist – wie zum Beispiel ein Gedicht. Bei so etwas geht man am besten langsam ans Werk, fasst das Gebilde zart an den Versen, wickelt Metaphern und Laute in Seidenpapier und bleibt dabei immer im Takt. Vor allem wenn die Reise lang und strapaziös wird, wie beim diesjährigen Versschmuggel -reVERSible des Berliner Poesiefestivals in der Backfabrik: Australien hin und zurück.

Zehn australische und zehn deutsche Dichter haben es unternommen, die lyrischen Texte der jeweils anderen Sprache in die eigene hinüber zu retten. Am Montag war der Auftakt zu zwei Tagen „Versschmuggel“ mit fünf Dichterpaaren, darunter Robert Gray und Joachim Sartorius, Ursula Krechel und Peter Skrzynecki. Drei Tage lang hatten sie sich intensiv mit der Poesie des jeweils anderen befasst, mit Dolmetschern und Wort-für-Wort-Übertragungen gearbeitet, gelauscht, geklopft und gefeilt. Nun stellten sie die Ergebnisse vor.

Es war zu spüren, wie heikel es ist, die rhythmische Wucht, den melodiösen Pathos englischer Lyrik in den getrageneren Konstruktionen der deutschen Sprache aufzufangen, Pointen zu über-setzen, Assoziationen stabil zu halten. Dennoch, die Annäherung funktionierte erstaunlich gut – dank der Bereitschaft der Autoren, sich in die Sprache des anderen hinein zu begeben, sie auszuloten und zu erforschen. Nur selten entstanden aus den Schwierigkeiten einer wörtlichen Übertragung – vielleicht nicht ohne Hintersinn herbeigeführte – Momente der Komik: Etwa wenn aus dem unheimlich-düsteren „crooked men“ im deutschen ein harmloses „krumme Männer“ wird, was sich im Schweizer Dialekt eines Raphael Urweider besonders schrullig ausnimmt.

Überhaupt stellte Urweider zusammen mit dem Australier Samuel Wagan Watson eine der gelungensten Paarungen des Abends dar. Rein äußerlich hätten sich das energiegeladene Temperamentsbündel Watson und der zurückhaltende Schweizer zwar kaum auffälliger unterscheiden können, aber in ihrem Humor und der Musikalität ihrer Lyrik schienen die beiden sich gefunden zu haben. Während der eine über ein zeitweiliges Verlassen des Planeten spekulierte, brillierte der andere mit einer ironischen Verbeugung vor Charles Bukowski. Da fiel der Übergang zum „cyber-surrealistischen“ Vortrag von Joanne Burns im Verbund mit Ulf Stolterfoht denn auch nicht mehr schwer. Ihr scharfer Blick für Absurditäten fügte sich wunderbar unkompliziert zu Stolterhohts verschiedenen „Gedanken anlässlich der Wiederbelebung einer Sprachleiche“, die in der englischen Übersetzung manchmal fast noch ein wenig besser klangen.

Daher: „Achtung, das dichtende Subjekt ist anwesend“, es hört zu, denkt mit und manchmal lacht es sich fast zu Tode. Wer seinerseits nicht anwesend sein konnte hat noch eine Chance: Nächstes Jahr erscheint beim Kölner DuMont Verlag eine zweisprachige Anthologie mit den Texten der australischen Dichter.

Lena Gr, huber

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