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Kultur: Achtung, rollende Köpfe!

Eine Entdeckung: die viktorianische Operette „ Mikado“ in Neukölln

Der japanische Kaiser schwebt aus höheren Sphären ein: Im Saalbau Neukölln hört man Hubschraubergeräusche, dann klettert der Mikado an einer Strickleiter herab. Der Erlauchte (elegant gesungen von Matthias Jahrmärker) tritt so sportiv auf wie er regiert: Gesetzgebung ist geil! Je sinnloser die Legislative, je blutrünstiger die Exekutive, desto besser ist der Monarch gelaunt: „Ich gönn mir beim Planen / von Folterschikanen / Verliebtheit in jedes Detail“, reimen Dirk Rave und Nils Steinkrauss in ihrer Neuübersetzung des britischen Operettenklassikers.

Die Untertanen nehmen den kaiserlichen Blutdurst eher mit Humor. Sie haben sich verblüffend flexibel auf die Launen der Herrschernatur eingestellt. Denn: Wo Japan draufsteht, stecken Engländer dahinter. Da kann die Musik noch so fernöstlich daherkommen. Die britischen Operettenkönige W.S.Gilbert und Arthur Sullivan nahmen in ihrer 1885 in London uraufgeführten Satire um einen Kaiserbesuch in der Provinz vor allem den Pragmatismus und die Doppelmoral ihrer Mit-Insulaner aufs Korn.

Die nicht unkomplizierten Verhältnisse in der Fantasiestadt Titipu hat Regisseur Dirk Rave mit Sinn für witzige Details inszeniert. Stückgerecht dominiert dabei der schwarze Humor: So probiert man im ersten Finale reihum den Galgenstrick – und siehe da: er passt jedem! Kein Wunder, wo doch in „Japan“ das Flirten mit dem Tod bestraft wird. Auf der Suche nach dem nächsten Opfer tritt Ko-Ko (Frank Bauszus), Richter und Henker in Personalunion, in kommunalpolitische Fettnäpfchen. Gottseidank steht ihm Hyperminister Pooh-Bah (Werner Matusch) rechtsbeugend zur Seite. Sängerisch ragt das Liebespaar heraus. Birger Radde gibt den Kaisersohn Nanki-Poo: als kommender Todeskandidat hart im Nehmen, aber mit weichem Tenorkern. Cassandra Hoffman als selbstverliebte Yum-Yum segelt zu Sopranhöhen wie Kirschblütenblätter in lauer Luft. Ihre Gegenspielerin, die alte Schachtel Katisha, spielt Renate Dash als Margaret-Thatcher-Version mit Mandelaugen. Um jeden Preis will sie sich den Prinzgemahl schnappen und inszeniert darum eine (von Sullivan herrlich parodistisch komponierte) Klagearie als medienwirksamen Scheinselbstmord. Nicht ganz so tollkühn und spritzig, wie die Sänger agieren, führt Sabine Wüsthoff die sechs Instrumentalisten durch den neu arrangierten Exotismus von Sullivans Musik. Ein Abend, der Lust macht, das Stück auch einmal in Originalbesetzung, auf einer größeren Bühne zu erleben.

Saalbau Neukölln, Karl-Marx-Straße 141, wieder 19.–21., 24–27. September, 20 Uhr.

Jens Hinrichsen

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