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Kultur: Ackermanns Abgesang

Klingende Kapitalismuskritik: Harry Kupfer inszeniert Brechts „Mahagonny“ in Dresden

Sie haben hart gearbeitet, jetzt wollen sie was erleben. Am Himmelfahrtswochenende ist in Dresden kein Hotelzimmer, kein Tiefgaragenplatz mehr frei: Wie Heuschreckenschwärme fallen die Touristen in den Restaurants und Cafés ein, belagern Museumseingänge und Kirchentüren. Nur für die Premiere an der Semperoper gibt es noch Karten. Dabei wird hier das Stück der Stunde gegeben, „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ von Bertolt Brecht und Kurt Weill, 1929 als klingende Kapitalismuskritik konzipiert. Auch hier wollen Menschen ihr sauer verdientes Geld in Spaß ummünzen.

Die Wüstenstadt Mahagonny soll eine Oase für neureiche Goldsucher und Holzfäller sein. Doch allein mit einem All-inclusive-Erholungsprogramm lassen sich die Gäste auf Dauer nicht halten. Erst als die Parole „Alles ist erlaubt“ ausgegeben wird, blüht das Wirtschaftsleben auf. Wie die Arbeiterfaust aufs Unternehmerauge passt das Stück zu Münteferings Wahlkampfwirbel. Der SPD-Mann hat gesprochen, die Bosse haben geantwortet. Jetzt ist die Kunst dran.

Als Operndirektor in Dresden entwickelte Harry Kupfer hier von 1972 – 1981 seinen viel gerühmten Regiestil: Bereits zur ersten Probe weiß er genau, wie alles werden soll. Doch weil Musiktheater lange im Voraus planen, ist die Inszenierung auf dem Stand des Mannesmann-Skandals. Von der aktuellen Systemkritik-Debatte keine Spur. Dass Jim Mahoney, der Protagonist, in einer Libretto-Fassung auch mal Johann Ackermann heißt, genügt Kupfer als Pointe. Schließlich ist Ackermanns Busenfreund Jakob Schmidt auch ein guter Esser! Selten sah „Mahagonny“ so alt aus.

Zumal Hans Schavernoch und Yan Tax eine Ausstattung entworfen haben, die Lichtjahre von der Optik des modernen Kapitalismus entfernt ist. Aus Markenartikeln baut sich der Konsument des Jahres 2005 seine Weltanschauung zusammen. Auf der Bühne der Semperoper tragen Chor wie Solisten dagegen wieder nur die übliche, billig-banale Ballonseide-Federboa-Mischung eines realistischen Musiktheaters, das sich längst überlebt hat. Dazu gibt es statt inszenatorischen Geistesblitzen jede Menge Knalleffekte, einen Hubschrauber in Originalgröße, Prostituierte, die an Fallschirmen herabschweben, und explodierende Hochhauskulissen.

Immer gibt sich das Inszenierungsteam mit der erstbesten Assoziation zufrieden. Ist von einer Mauer die Rede, hinter der sich die Mahagonny-Bewohner vor dem Hurrikan verbarrikadieren, rollt auch schon die Berliner Mauer herein. Herr Ackermann proklamiert seine neue Religion der Regellosigkeit, hackt mit dem Eispickel ein Loch in den Beton und springt in sein Unglück: Bald wird er sein Geld verprasst haben – die einzige Todsünde im Turbokapitalismus! – und als Zechpreller gelyncht werden. Relativiert Harry Kupfer hier sein Verhältnis zur DDR, jenem seligen Land, in dem es nur deshalb Schutzwälle gab, um die Einwohner vor bösen Stürmen zu schützen? Man mag den Gedanken kaum weiterdenken.

Unbefriedigend auch die musikalische Seite des Abends. Die Besetzung ist durchweg achtbar, bis auf Leandra Overmanns Witwe Begbick gelingt es jedoch niemandem, das Kunstvoll-Künstliche, das Affektiert-Opernhafte beiseite zu lassen. Mühelos schwingt sich Brigitte Christensen in höchste Sopranhöhen auf und verzuckert die Hure Jenny Hill zur Heiligen. Großes Tenorpathos legt Douglas Nasrawi als Ackermann vor und zeigt, wie heikel es ist, Kurt Weills Agitpropmusik mit Opernsängern zu realisieren. Zumal wenn Dirigent Sebastian Weigle die Dresdner Staatskapelle bis zur Pause herunterdrosselt, aus unnötiger Rücksicht auf die stimmstarken Sänger. Wo der freche, pfeffrige Tonfall einer bolschewistischen Kurkapelle gefordert wäre, verflacht der sonst so verführerische Samtklang des Traditionsorchesters zum ausdrucksarmen Softsound. Weill, langweilig.

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