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Kultur: Adel vernichtet

Chronist des Untergangs: Berlins Filmmuseum erinnert an Luchino Viscontis Spätwerk

Ein Feuerregen aus Funken, glühender Stahl und erbarmungslos zuschlagende Maschinen: Luchino Viscontis Film „La Caduta degli Dei“ („Die Verdammten“) von 1969 beginnt mit einem Inferno – und steigert sich dann noch. Das Essenbeck’sche Stahlwerk, Symbol deutscher Macht und Gewalt, ist nur der erste Flächenbrand des Films, der in den Jahren 1932-34 spielt. Es folgen Reichstagsbrand sowie Bücherverbrennung. Das elegante Diner, das der greise Baron von Essenbeck (Vorbild: Alfried Krupp) zur Feier seines Geburtstags inszeniert, ist nur die Ruhe vor dem Sturm. „Die Geschichte dröhnt vor der Tür“, hat Gilles Deleuze geschrieben und das Bild vom „zerfallenden Zeitkristall“ geprägt, durch den man das Wirken der Geschichte sehe.

Als Luchino Visconti 1969 in „Die Verdammten“ den Fall der deutschen Industriellenfamilie Krupp und die Stimmung des aufkommenden Nationalsozialismus aufgreift, stehen andere Zeiten an: Die Studentenrevolution und die mit ihr verbundene neue Filmgeneration haben den Regisseur ins Abseits geraten lassen. Visconti, Spross eines uralten Mailänder Adelsgeschlechts, wusste, dass seine Welt, die er in immer opulenteren Inszenierungen beschworen hatte, untergegangen war.

Totentanz

In Deutschland hatte sich zwei Jahre zuvor das Familienunternehmen Krupp in eine Kapitalgesellschaft verwandelt: Arndt von Bohlen und Halbach, der Alleinerbe, hatte zugunsten des Geschäftsführers Berthold Beitz verzichtet – Vorbild für die Figur Martin von Essenbecks im Film, der zugunsten des Geschäftsführers Friedrich Bruckmann zurücktritt. Was Visconti aus der Krupp-Geschichte macht, ist jedoch mehr als eine historische Dokumentation: Er inszeniert einen beispiellosen Totentanz und greift dabei sein Lieblingsthema wieder auf: das Ende der alten, in Schönheit erstarrten Welt.

Wenn das Berliner Filmmuseum sich nun – ohne besonderen Anlass – Viscontis „deutsche Trilogie“ vornimmt, dann hat das Thema des deutsch-italienischen Verhältnisses durch die Diskussionen der letzten Wochen nur auf den ersten Blick tagespolitische Aktualität gewonnen. Tatsächlich ist Viscontis verstörend scharfe Analyse einer durch Luxus korrumpierten und politisch instabilen Gesellschaft ziemlich in Vergessenheit geraten. Aber, so Filmmuseumschef Helmut Prinzler, es gehört zu den Aufgaben eines Filmmuseums, an Regisseure zu erinnern, die zu Unrecht in Vergessenheit geraten sind. Und im Fall von Luchino Viscontis „Deutscher Trilogie“ hat er absolut Recht.

Mit dem opulenten Spätwerk, das 1969 mit „Die Verdammten“ beginnt und nach „Tod in Venedig“ (1971) mit dem vierstündigen „Ludwig II.“ (1973) seinen maßlosen Abschluss findet, ist Visconti zum „Chronisten der Gefühle in Umbruchszeiten“ geworden, wie es der verstorbene Filmtheoretiker Karsten Witte einmal nannte.

Der Marxist Antonio Gramsci, auf den sich Visconti immer wieder bezog, hat die Situation, in der „Die Verdammten“ spielt, so beschrieben: „Die Krise besteht just darin, dass das Alte stirbt und das Neue nicht zur Welt kommen kann. Während dieses Interregnums treten die verschiedenartigsten Krankheitserscheinungen auf“. Und krank ist auch Viscontis neue Welt. Hatte seine Verfilmung des „Leoparden“ 1963 noch vom würdevollen Untergang der sizilianischen Aristokratie erzählt, zeigt „Die Verdammten“ 1969 die Fratze der neuen Zeit. Nicht umsonst ist Shakespeares „Macbeth“ das Grundmuster, nach dem der Film gestrickt ist: In dieser Umbruchswelt ist die Stunde gekommen für Emporkömmlinge, intrigierende Frauen und degenerierte Söhne.

Im Filmmuseum sind sie nun noch einmal zu Tisch geladen: Der greise Patriarch Baron von Essenbeck (Albrecht Schoenhals), der skurpellose SS-Mann Aschenbach (Helmut Griem), Friedrich Bruckmann mit seiner Geliebten Ingrid Thulin, einer todesbleichen Lady Macbeth, und der hoffnungslos verdorbene Alleinerbe (Helmut Berger als Martin von Essenbeck). Thomas Heise hat die Geburtstagstafel der „Verdammten“ als Videoinstallation rekonstruiert, ein kleiner Bildschirm mit charakteristischen Szenen steht an jedem Platz. Dazu sind Szenenfotos aus „Ludwig II.“ als Kreuzwegstationen an die Wand gehängt, und den „Tod in Venedig“ gibt es (Wasser = bewegte Bilder) als Videoclip. Dazu kommen im Nachbarkabinett Drehnotizen, Filmstills und Skripten.

Schwanengesang

Die Ästhetik einer Neuschwanstein-Kapelle mag Heise damit getroffen haben: Für das anspruchsvolle Thema der Ausstellung ist die Installation allein zu wenig, und man muss schon auf den exzellenten Katalog zurückgreifen, um eine Ahnung von Viscontis Vision zu bekommen.

„Götterdämmerung“ hätte der deutsche Titel von „La Caduta degli Dei“ lauten sollen – damit hätte er jenem Komponisten Reverenz erwiesen, dem „Ludwig II.“ ein Denkmal setzt. Und was Wagners „Ring“ für die Musikgeschichte ist, ist Viscontis „deutsche Trilogie“ für die Filmgeschichte: ein Schwanengesang auf das 19. Jahrhundert. Visconti hat selbst bekannt, dass er zur Epoche von Thomas Mann, Marcel Proust und Gustav Mahler gehöre. Mann und Mahler hat er in „Tod in Venedig“ zusammengeführt, eine Verfilmung von Prousts „Suche nach der Verlorenen Zeit“ war sein lebenslanger Wunsch. Doch auch ohne diese Krönung ist sein Spätwerk eine Suche nach der verlorenen Zeit geworden. Und das Eingeständnis, dass diese Zeit zu Recht verloren ging.

Filmmuseum Berlin, bis 16. November, Di bis So, 10-18 Uhr, Do bis 20 Uhr. Katalog (Jovis Verlag) im Museumsshop 14,80 Euro.

„La Caduta degli Dei“ zeigt das Arsenal am 5.9. um 19 Uhr in Anwesenheit von Thomas Heise, sowie am 17.9. und 28.9. Im Oktober folgt die gesamte Trilogie.

Christina Tilmann

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