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Kultur: Adieu Pariser Platz!

Ist die Akademie der Künste zu retten? Plädoyer für die Rückkehr zum Hanseatenweg. Und zum Wesentlichen / Von Peter Raue

Ihrem Ende eilen sie zu, die so stark im Bestehen sich wähnen! (Richard Wagner, „Das Rheingold“, 4. Szene)

Die Akademie der Künste ist in die Krise geraten. Die Öffentlichkeit hat die Krise erst nach dem spektakulären Rücktritt Adolf Muschgs, des Präsidenten dieser Akademie, wahrgenommen. Aber nicht der Rücktritt hat die Krise ausgelöst, sondern er ist sichtbares Zeichen für diese Krise. Es gibt kein Adolf-Muschg-Problem, sondern eines der Mitglieder der Akademie in ihrer sechsteiligen Struktur und somit ein tiefgreifendes Akademieder-Künste-Problem.

Es ist kein Zufall, wenn die seit langem schwärende Wunde aufbricht wenige Monate, nachdem die Akademie der Künste in ihre neue Burg, in ihr Walhall am Pariser Platz eingezogen ist. Eine Akademie, die in diesem Gebäude arbeiten, existieren oder auch nur repräsentieren will, musste alsbald ihre „Götterdämmerung“ erleben. Akademie und Künste können dort nicht gedeihen. Zwar lässt sich auf die Fassade des im Mai 2005 eingeweihten Gebäudes noch die Wotan-WalhallBegeisterung übertragen – „in prächtger Glut prangt glänzend die Burg“. Günter Behnisch, Architekt des Gebäudes und Mitglied der Abteilung Baukunst in der Akademie, hat mit seiner Glasfassade sensibel reagiert auf seine Nachbarschaft, den grandiosen Zugriff des Frank O. Gehry und das restaurative Hotel Adlon.

Wehe dem aber, der das Gebäude am Pariser Platz betritt! Bis zur Eröffnung habe ich immer geglaubt, das Kulturforum sei das missglückteste Bauwerk der Nachkriegszeit. Diese Trophäe aber gehört dem Inneren des Akademiegebäudes! In dem sinnleeren, funktionswidrigen Gehäuse kann sich weder eine Interaktion der Akademiker und Akademikerinnen noch eine Kommunikation mit den Freunden und Besuchern lebendig-freudig entfalten.

Wer in dieses Gebäudes vordringen will, muss erst einmal eine idiotische Schiefebene überwinden. Diese Ebene mit den Ausmaßen einer Piazzetta mag architektonisch-ästhetisch vertretbar sein, betretbar ist sie nicht ohne Gefahr. Man sieht immer wieder ältere Leute, die ihre ganze Aufmerksamkeit und Vorsicht dem Überwinden der Ebene widmen müssen. Den Rollstuhl dort hinaufzuschieben, bedarf der Kraftanstrengung, bergab ist der Weg nur gefahrlos zu überwinden, wenn man ständig die Bremse parat hat, damit der Rollstuhl nicht zu schnell nach unten fährt.

Diese schiefe Ebene ist auch deshalb ärgerlich, weil man sich eben wegen deren Neigung dort nicht versammeln, dort nicht gehen, reden, sitzen kann. Verschenkter Raum! Man versucht nur, ihn so schnell wie möglich zu verlassen. Will man sich nach Überwinden dieses Zugangs zu einem Tee oder zu einem kleinen Lunch treffen, so sucht man die ebenerdige Cafeteria auf: unter einer Treppe, überdacht von einer „Seufzerbrücke“, wobei die Seufzer eher von denen ausgehen, auf deren Haupt getrampelt wird, als von denen, die diese Brücke benutzen.

Wandert der Besucher weiter durch das Haus, kommt er aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Wohin das Auge reicht: Treppen, immer wieder: Treppen! Groß, breit, vielfältig, Raum einnehmend, Raum verschlingend, Räume verweigernd. Anlässlich der Eröffnung des Gebäudes fragt mich ein berühmter ungarischer Autor: „Weißt du, woran mich erinnert das Haus? An Warenhaus, wo du kannst kaufen Treppen.“

Diese Treppenlandschaft macht das gesamte Gebäude für seinen Widmungszweck unbrauchbar. Es ist die unvermeidbare Folge des Stiegengebirges, dass das Kennzeichen des Hauses das Fehlen von geeigneten Arbeits-, Sitzungs-, Begegnungs- und Versammlungsräumen ist. Es gibt nicht einen einzigen Raum, in dem die 360 Akademiemitglieder zusammenfinden können!

Der größte Versammlungsraum, das Auditorium, fasst 270 Sitzplätze; mehr Personen werden aus polizeilichen Gründen nicht zugelassen. Ich erinnere mich: Als Peter Wapnewski seine hinreißenden Memoiren dort vorgestellt hat, mussten die Türen zu diesem Raum zehn Minuten vor Beginn der Veranstaltung geschlossen werden, weil sich mehr als 270 Menschen eingefunden hatten. Die später Kommenden konnten sich auf den zahllosen Treppen niederlassen. Man stelle sich diese (und alle übrigen) Veranstaltungen in der Akademie am Hanseatenweg vor: Dort hätten mindestens 500 Menschen Platz gehabt, und wenn der Andrang noch größer gewesen wäre, hätte man das kleine Auditorium aufgemacht und noch einmal 200 Plätze hinzugewonnen.

Dass es am Pariser Platz nicht einen einzigen Ort gibt, in dem sich alle Akademiemitglieder versammeln können, ist Beweis dafür, wie grotesk und skandalös dieses Gebäude im Inneren geplant und umgesetzt wurde. Der bedeutendste Schatz der Akademie ist sein Archiv. Selbst diese Kostbarkeiten von Zeit zu Zeit in homöopathischen Dosen auszustellen, verbietet sich am Pariser Platz. Für Handschriften fehlt die Belüftung, sogar für kleine Ausstellungen – von Chodowiecki über Peter Weiss bis zu den Arbeiten der Akademiemitglieder – fehlt es an geeignetem Raum!

Am erfreulichsten ist da noch der Clubraum in der obersten Etage. Dort können sich bis zu 120 Menschen treffen, auf die Terrasse treten mit dem unvergleichlichen Blick auf den Pariser Platz, auf das Brandenburger Tor, auf das Max-Liebermann-Haus und alsbald – auf die U-Bahn- Station. Wer aber glaubt, dass man dort als Akademiemitglied, Gast der Akademie oder Mitglied des Freundeskreises der Akademie zu einem Gespräch gleichzeitig irgendeinen Imbiss oder wenigstens einen Kaffee einnehmen kann, der sieht sich getäuscht. Weil der Architekt dort oben eine Küche verweigert hat, kann dieser Raum nur bewirtet werden durch ein teures, in der Qualität immer problematisches Catering. Dem Gebäude am Pariser Platz fehlt alles, was der hinreißende Düttmann-Bau am Hanseatenweg hat: Räume, die zur Kommunikation einladen, in denen große Veranstaltungen und kleine Meetings stattfinden. Clubsessel, Clubraum, Theke, Cafeteria, Innenhof und Öffentlichkeitsbereich.

Genau hier setzt meine zunächst wohl erschreckende Überlegung ein: Die Architektur hat die ihr gestellte Aufgabe gänzlich verfehlt. Weder arbeiten noch repräsentieren können die Verantwortlichen am Pariser Platz. Lasst uns also alle dorthin zurückkehren, wo wir herkommen: An den Hanseatenweg!

Zumindest zwei Einwände von unterschiedlichem Gewicht erwarte ich gegen diesen Vorschlag: Am Hanseatenweg reiche der Platz für die Erfüllung der Aufgaben der Akademie nicht aus, deshalb sind ja beide Gebäude Heimstätten der Akademie der Künste. Und: Man kann doch den angestammten, ehrwürdigen Platz der Akademie in der Nachbarschaft von Brandenburger Tor und Liebermann-Haus nicht verlassen, jenem Ort, an dem die Akademie ihre größte, beste Zeit hatte. Wenn, woran ich nicht zweifle, die Rückkehr der durch die Vereinigung von Ost und West stark erweiterten Akademie an den Hanseatenweg keinen hinreichenden Platz findet, muss man ihn schaffen: mit einem schlichten, jederzeit möglichen Anbau am Hanseatenweg. Und woher das Geld nehmen in Zeiten knappster Kassen?

Die Lösung liegt auf der Hand. Die Akademie – genauer: der Bund für die Akademie der Künste – zahlt zwanzig Jahre lang jährlich (etwas vereinfacht) einen Leasingbetrag von mehr als 3 Millionen Euro für das Haus am Pariser Platz. Findet man einen Investor, der in dieses Haus (als Versicherer, als Bank, als Fernsehsender) einziehen will – und ein Investor wird sich finden! –, so wird er auch die Leasing-Verpflichtung übernehmen.

Das so innerhalb von nur drei Jahren Eingesparte (rund 10 Millionen Euro) reicht allemal aus, um den Anbau und somit den Raum am Hanseatenweg zu schaffen, der den Anforderungen der Akademie gerecht wird. Mit der Rückkehr an den Hanseatenweg ist das Strukturproblem freilich noch nicht gelöst, aber das Umfeld geschaffen, um zu einer Lösung zu kommen: Dass die Mitglieder der Akademie und die Verwaltung wieder auf einem Raum zusammen arbeiten, tagen, reden, Kaffee trinken, denken und entscheiden, ist nicht der unwichtigste Nebeneffekt dieses Vorschlags. Die Doppelbehausung am Pariser Platz und am Hanseatenweg ist ohnehin ein Dauerstörfaktor in der Kommunikation der Akademie.

Gewichtiger ist der zweite Einwand: Die Akademie ist an ihren ursprünglichen Ort am Pariser Platz zurückgekommen, und dort muss sie bleiben. Der Bund hat die Akademie unter seine Fittiche genommen, weil sie die deutsche nationale Akademie der Künste ist, und da bedarf es der Strahlkraft des zentralen Pariser Platzes. Der Einwand ist stark. Er überzeugt aber nicht, weil es kein vernünftiges Nutzungskonzept für dieses Haus gibt. Nur um als Symbol dafür zu fungieren, dass Berlin und Deutschland wieder eine vereinigte Akademie der Künste haben, sind Aufwand und vergeudete Energie einer zwischen Hanseatenweg und Pariser Platz gespaltenen Akademie und die damit Hand in Hand gehenden Mehrausgaben sinnlos und nicht zu vertreten.

Das falsche Haus am richtigen Platz kann seine Rechtfertigung nicht aus dem Symbolwert des Standorts herleiten. Keine der Funktionen, die die Akademie der Künste wahrzunehmen hat, kann derzeit am Pariser Platz im Behnisch-Bau verwirklicht werden. Es gibt aber keinen Raum, in dem sich die Senatsmitglieder der Akademie unbeobachtet treffen können, im Auditorium sind sie stets von den Blicken der Öffentlichkeit begleitet, weil hier Glas die Räume begrenzt. Kein Theater kann gezeigt, keine internationale Konferenz (die ja ebenfalls auf Nebenräume angewiesen ist) realisiert werden.

Nur wenn diese architektonisch bedingte – übrigens von niemandem der dort Tätigen bestrittene – Funktionslosigkeit beseitigt wird, lässt sich der Verbleib (auch) am Pariser Platz rechtfertigen. Das aber setzt einen radikalen, geradezu atemberaubenden Eingriff voraus. Die Verantwortlichen – und der Architekt – müssten den Mut aufbringen, das Innenleben des Gebäudes gänzlich umzugestalten, und bereit sein, statt unendlich verschenkten Raums, ungezählter Treppen und schiefer Ebenen wirkliche Begegnungsstätten zu schaffen, die das intime Gespräch ebenso zulassen wie große und repräsentative Veranstaltungen.

Der Umbau des Innengebäudes scheint mir ein noch größerer, noch kühnerer Schritt zu sein als der Weg zurück zum Hanseatenweg. Er wäre nicht ein Zurück in die Beschaulichkeit, sondern in ein Umfeld, in dem die bedeutende wiedervereinigte Akademie der Künste ihre große, wichtige und gewichtige Aufgabe in Berlin und in Deutschland sinnvoll erfüllen kann. Es gibt eben auch kein richtiges Akademieleben im falschen Gebäude.

Peter Raue lebt als Rechtsanwalt in Berlin und ist Vorsitzender des Vereins der Freunde der Nationalgalerie.

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