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Kultur: Adieu, Siegfried Unseld

Meine letzte Begegnung / Von Imre Kertész

Es hätte eine schöne, lange Freundschaft werden können. So jedoch ist sie eine schöne, aber kurze geblieben. Es fing an einem Sommernachmittag an, auf dem Balkon unserer Wohnung in Budapest. Unseld kam mich besuchen, um mich zu gewinnen, ein Autor von ihm, vom Suhrkamp Verlag zu werden. Er hat es mit mir nicht schwer gehabt. Auch unsere Frauen, Ulla Berkéwicz und Magda, waren dabei. Als wir dann gemeinsam zum Essen gingen, wussten wir, wir waren Freunde geworden.

Ein Trost ist heute für mich, dass ich ihn noch in seiner vollen Kraft erleben durfte. Als ein Schriftsteller, der vierzig Jahre lang in einer Dikatatur gelebt und nur mit staatlichen Verlagen – also mit Bürokraten – zu tun gehabt hat, habe ich von großen Verlegern immer nur gehört und geträumt. Jetzt habe ich einen in der Wirklichkeit erlebt. Die Art von Männern, wie Siegfried Unseld einer war, dieser Gründertyp, existiert nicht mehr. Vielleicht war er der letzte.

Wie lieb ich ihn gewonnen hatte, begriff ich erst in dem Moment, als er erkrankte. Meine Frau und ich, wir haben damals lange geweint. Dann haben wir ihn besucht. Bei der letzten Gelegenheit, als wir schon von ihm Abschied nahmen, bat er mich, durch Ulla, noch einmal an sein Krankenbett. er wollte etwas sagen, dann aber reichte er mir nur seine Hand und zog sie nicht wieder zurück; er ließ sie weiter in meiner Hand liegen. Ich streichelte seine Hand, und er nickte. Das war unsere letzte Begegnung. Ich bin untröstlich.

Diesen Text sprach Literaturnobelpreisträger Imre Kertész bei der Beerdigung des Verlegers Siegfried Unseld in Frankfurt am Main.

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