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Kultur: Adlerblick auf Rossi

Neues Bauen in Berlin: Ergänzung eines Gebäudes der Kaiserzeit

Von Jürgen Tietz

Als Aldo Rossi vor einigen Jahren das Quartier Schützenstraße entwarf, verwob er in seinen bunten Baukastensatz sogar das Zitat eines römischen Renaissancepalastes. Mit dem Ausschnitt aus der Hoffassade des Palazzo Farnese an der Schützenstraße verlieh der italienische Altmeister der europäischen Postmoderne der Friedrichstadt einen historischen Tiefgang, den sie in Wirklichkeit nie besaß. Dabei verstand man doch auch in der aufstrebenden Kaiserstadt Berlin an der Wende zum 20. Jahrhundert, palastartig zu bauen. Freilich entstand das ehemalige Geschäftshaus und Hotel „Roter Adler“ an der Ecke Schützen-/Charlottenstraße – direkt neben Rossis Quartier – erst 1907, also rund 400 Jahre nach Antonio di Sangallos und Michelangelos römischem Palazzo Farnese.

Doch immerhin atmet der Bau von Otto Michaelsen wenigstens die Aura des Authentischen. Jüngst restauriert, schauen nun die Porträtreliefs des Freiherrn vom Stein und Otto von Bismarcks mit frisch geputztem Gesicht auf das Ensemble herab, das die Berliner Architekten Nalbach und Nalbach hergerichtet haben. Den Architekten ist es gelungen, im bunten Schatten Rossis eine differenzierte Stadtreparatur vorzunehmen, die drei unterschiedliche Aufgaben umfasste: Zum einen galt es, in Zusammenarbeit mit dem Landesdenkmalamt den Altbau von Michaelsen zu restaurieren. Das betraf allerdings fast nur die Fassade, denn im Inneren haben sich in dem auch künftig als Geschäftshaus genutzten Altbau kaum Spuren seiner bauzeitlichen Ausstattung erhalten. Diese Fassade hat es allerdings in sich! Bietet sie doch an dem überbordend reich dekorierten Schaugiebel zur Schützenstraße nicht nur Bildnisse von Reichskanzler und preußischem Reformator, sondern entwickelt eine ganze Geschichte konservativ deutsch-nationalen Selbstverständnisses, in dem auch Karl der Große und Kaiser Wilhelm I. als Ahnherren eines einigen Deutschland nicht fehlen.

Die zweite Aufgabe, die die Nalbachs zu bewältigen hatten, galt der Reparatur der Ecksituation Schützen-/Charlottenstraße. Dort hatte der Zweite Weltkrieg eine Lücke in Michaelsens Gebäude gerissen, die zu DDR-Zeiten gefüllt worden war. Nalbach und Nalbach entfernten diese architektonische Plombe zugunsten einer zurückhaltenden Annäherung an den Altbau. Es entstand ein Bauteil, der sich bewusst den Extremen entzieht. Er ist weder eine Rekonstruktion des verlorenen Gebäudes, noch schafft der neuen Bauteil einen scharfen stilistischen Schnitt. Vielmehr nimmt er vom Basaltsteinsockel über die Fassadenoberfläche bis zur Fenstergliederung die Vorgaben des Altbaus auf. Doch er überführt sie in eine abstrakte Formensprache, die sich der kleinteiligen Dekoration des Originals verweigert.

Deutlich zeichnet sich die Nahtstelle zwischen Alt und Neu ab, so dass die unterschiedlichen Bauphasen der Gebäudeteile selbst für den nicht eingeweihten Betrachter gut zu erkennen sind. Natürlich ist das denkmalpflegerische Vorgehen der Nalbachs eine altbekannte Praxis, um Wunden an historischen Bauten schonend zu schließen, ohne dabei in verfälschendes Rekonstruieren zu verfallen. Gleichwohl ist es bemerkenswert, bleibt doch so Bau-Geschichte lesbar, statt wie bei Rossi im historisierenden Quartiers-Rundumschlag vorgegaukelt zu werden.

Und Platz für Neues bleibt im noch immer ausgedünnten Berliner Stadtgrundriss allemal. Nicht nur durch die gläsernen Gauben, die die Nalbachs dem Altbau aufgesetzt haben. Gleich neben dem restaurierten Altbau haben sie für ihren Bauherrn, den Schweizer Versicherungskonzern Winterthur, auf einer Tiefgarage ein neues Wohngebäude errichtet, das deutlich über dem Niveau der sonstigen Bebauung rund um den einstigen Checkpoint Charlie liegt.

Das Material des Sockels am Altbau, ein dunkler Basalt mit rauer, offenporiger Oberfläche, haben die Nalbachs beim Neubau für die gesamte Fassadenverkleidung verwendet. So entsteht ein dezenter Bezug zwischen den Bauteilen. Im Erdgeschoss wird die Ladenzone der Nachbarbauten fortgeschrieben. Doch ansonsten dominieren die Unterschiede: der sechsgeschossige Wohnbau, der zusätzlich von den üblichen beiden Staffelgeschossen bekrönt wird, erfährt durch die auskragenden Geschossbänder eine deutliche horizontale Gliederung.

Zusätzlich belebt wird das Fassadenrelief durch die schönen Fensterskulpturen aus kanadischer Weißeiche, die vor- und zurückspringen. Metallgeländer und Glasbrüstungen bieten im Wechsel die nötige Absturzsicherung für die raumhohen Fenster. So unaufgeregt und gleichzeitig elegant kann sich ein Neubau ins Stadtbild einfügen und ihm einen aktuellen Akzent verleihen.

Die Zwei- und Dreizimmer-Wohnungen mit offener Küchenzeile und Fußbodenheizung sind Idealfälle für ein innerstädtisches Singleleben, einschließlich Balkons zum Hof. Großzügiger geben sich die Staffelgeschosse, die sogar auf beiden Wohnungsseiten über Balkone verfügen. Und während der gewerblich genutzte Altbau noch auf weitere Mieter wartet, erfreuen sich die Wohnungen bereits großer Beliebtheit, obwohl – oder vielleicht gerade weil – man in ihnen stets die bunte Spielzeugwelt von Aldo Rossi vor Augen hat.

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