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Kultur: Afghanistan: Interview: "Bald werden viele Menschen erfrieren und verhungern"

Nigel Fisher ist der Sonderbeauftragte der Unicef für die Kinder Afghanistans. Er koordiniert die humanitäre Hilfe von Islamabad in Pakistan.

Nigel Fisher ist der Sonderbeauftragte der Unicef für die Kinder Afghanistans. Er koordiniert die humanitäre Hilfe von Islamabad in Pakistan.

Wie müssen wir uns die Lage für die Menschen in Afghanistan vorstellen?

Schon vor den Terrorschlägen gegen die USA gab es nur eine angemessene Beschreibung für die Situation: Katastrophe. 20 Jahre tobte der Bürgerkrieg, die Ernte war entweder schlecht oder fiel ganz aus, das Land trocknet aus, die Wasservorräte schwinden, es ist wahnsinnig schwer, überhaupt Quellen zu finden. Von den 25 Millionen Menschen in Afghanistan lebten schon fünf bis sechs Millionen in lebensbedrohlicher Lage. 70 Prozent davon Frauen und Kinder. Eine Million Menschen hatten kein eigenes Zuhause.

Und jetzt, nach den Terrorschlägen, wird alles noch viel schlimmer?

Rund um die großen Städte wie Kabul oder Kandahar gibt es bereits große Flüchtlingscamps. In Herat im Westen zum Beispiel hausen gerade 300 000 Menschen in Camps. Da können wir Decken, Sweatshirts für Kinder, Medikamente und Wasser hinbringen, aber das ist alles schwieriger geworden. In die kleineren Städte oder Dörfer können wir theoretisch zwar auch vordringen - aber nur bis der Winter kommt. Mitte November werden viele Regionen komplett abgeschlossen sein. Dann wird alles anders. Dann werden wohl viele Menschen verhungern oder erfrieren.

Wie muss man sich den Winter in Afghanistan vorstellen?

Ich bin Kanadier und sage immer: Stellen sie sich einen kanadischen Winter vor, mit Schnee und minus 20 Grad, aber ohne Schuhe, ohne warme Anziehsachen, ohne warme Häuser, sogar ohne Decken. Und darüber hinaus gibt es nicht mal etwas zu essen. Es wird schrecklich.

Was können Hilfsorganisationen wie Unicef überhaupt noch in Afghanistan leisten?

Erst seit vergangenen Samstag können wir wieder Konvois mit Lieferungen ins Land bringen. Alle internationalen Helfer mussten zunächst das Land verlassen. Unsere afghanischen Leute arbeiten weiter, wir stehen im Kontakt, aber die können täglich weniger ausrichten. Offiziell hilft uns die Taliban nicht. Auf der lokalen Ebene aber unterstützen einige Taliban-Offizielle unsere Leute - entgegen den Anweisungen.

Wie viele Menschen haben das Land seit dem 11. September bereits verlassen?

Das kann man nur schwer schätzen. Allein die Grenze zu Pakistan ist 1000 Kilometer lang. Die ist nicht zu kontrollieren.

Viele Menschen werden erst in den nächsten Wochen aus Afghanistan fliehen wollen.

Das stimmt. Wir bereiten uns deshalb auf den schlimmsten Fall vor: Demnach könnten mehr als eineinhalb Millionen Menschen an die Grenzen Afghanistans strömen. Wir erwarten allein eine Million an der Grenze zu Pakistan, rund 400 000 an der Grenze zu Iran.

Wie reagieren die umliegenden Länder auf die Flüchtlingsströme?

Alle Grenzen zu Afghanistan sind geschlossen. Kein Land möchte Flüchtlinge aufnehmen. Iran und Pakistan beherbergen ja bereits Hunderttausende, vielleicht sogar Millionen afghanische Flüchtlinge, die in den vergangenen Jahren gekommen sind. Diese Länder wollen weiter helfen, aber nicht auf ihrem eigenen Territorium. Sie akzeptieren allenfalls Flüchtlingslager in Grenznähe, um die Menschen dort zu unterstützen.

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