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Mère-Bi (links), die Zeremonienmeisterin im senegalesischen Dorf Yene, als Vortänzernin des Ndeup-Rituals

© Lumiar Cité/Maumaus.

AI wie Afrikanische Intelligenz : Der Filmemacher Manthia Diawara im Haus der Kulturen der Welt

AI steht nicht nur für Künstliche Intelligenz: Drei Tage unter dem Motto „Ancestral Immediacies“ fragen nach unterschiedlichen Formen des Weltwissens

Von Gregor Dotzauer

Ndeup heißt das Ritual unter den senegalesischen Lebou, wie sie in Yene zu Hause sind, einem Dorf unweit von Dakar. Ndeup wie der fast zwei Stunden über die Leinwand prasselnde Rhythmus, mit dem die Männer auf ihren Sabar-Trommeln die Geister herbeirufen und die Frauen unter der Führung ihrer unermüdlichen Priesterin, der nach eigener Aussage 100-jährigen Mère-Bi, dabei zusehen, wie sich einige der ihren in Trance tanzen.

Es ist eine Art öffentlicher Psychotherapie, die Depressive heilt, Blinde sehend macht und Fußlahmen wieder auf die Beine hilft. Eine Besessenheit, die andere Besessenheiten unter vorübergehendem Bewusstseinsverlust bei epileptischen Krämpfen im Staub des Dorfplatzes vertreibt, bevor unter spirituellen Wassergüssen ein neues Leben beginnt.

Ndeup umfasst ein okkultes Wissen, das in vielen animistischen Traditionen zum Tragen kommt. Manthia Diawara deutet es als „AI: African Intelligence“. Sein Essayfilm eröffnete im Haus der Kulturen der Welt jetzt eine dreitägige Reihe von Performances, Gesprächen, Vorträgen und Installationen, die „AI“ nicht in erster Linie als Künstliche Intelligenz ausbuchstabieren wollten, sondern als „Ancestral Immediacies“.

Eine körperlose Superintelligenz?

Dieses Gegenprogramm zu einer blinden Fortschrittsbegeisterung versucht, das menschheitliche Erbe eines an seinem Präsentismus erstickenden Denkens wieder in den Vordergrund zu rücken. Dabei ist es die erklärte Absicht, „das vorherrschende Narrativ von künstlicher Intelligenz als einer körperlosen, universalen Superintelligenz zu hinterfragen“.

Mit der Körperlosigkeit ist es freilich so eine Sache. Denn das Wissen, das KI verarbeitet, ist natürlich durch eine immense Zahl von Körpern hindurchgegangen. So aseptisch, wie es sich im Digitalen zeigt, ist es nur seiner Herkunft wie jeder unmittelbaren Resonanzerfahrung beraubt.

Man kann die Datenbasis, aus der KI Erkenntnisse gewinnt, verbreitern und gegen den cultural bias vorgehen, der in den bestehenden Systemen zweifellos steckt. Universalität wird aber auch so nicht entstehen, weil schon ihre bloße Idee Widersprüche aufheben müsste, die in der physischen Welt weiterhin antagonistisch ausgetragen werden.

Queere KI als Korrektiv

Eine AAI, eine African Artificial Intelligence, wäre nicht weniger eingeschränkt als ihr westliches Gegenstück. Auch eine „Queere KI“, wie sie Sara Morais dos Santos Bruss, der HKW-Kuratorin für Wissenschafts-, Digital- und Medienpraktiken, in dem gleichnamigen, von ihr mitherausgegebenen Buch „Zum Coming-out smarter Maschinen“ (transcript 2022) vorschwebt, ist allenfalls ein Störfaktor im technologischen Streamlining – ein Korrektiv.

Spiegeln sich in all diesen legitimen Ansprüchen auf Repräsentation nicht letztlich auch vertraute hegemoniale Kämpfe, die mit Blick auf den „Systemrivalen“ China, der mit aller Macht seine eigenen KI-Pläne vorantreibt, sogar eine weltpolitische Dimension besitzen? Und lenken sie nicht von den eigentlichen, den gemeinsamen Problemen  insbesondere generativer KI ab, die ohnehin brüchigen Grenzen zwischen dem Tatsächlichen und dem Erfundenen vollends zu verschleifen?

Der Film, dem man all diese Fragen stellen müsste, betreibt mit seinem behaupteten Thema ein gutes Stück Etikettenschwindel – wenn auch einen sympathischen. Nicht, dass KI kein wesentlicher Teil jener technologischen Matrix in den Händen eines gefräßigen Plattformkapitalismus wäre, der jede Form kultureller Differenz einzuebnen droht und Diversität nur insoweit anerkennt, als sie den eigenen Geschäftsinteressen dient.

Der malische Filmregisseur, Autor und Kulturwissenschaftler Manthia Diawara.

© Lumiar Cité/Maumaus.

Was Diawara im Gewand einer um die algorithmische Ordnung der Welt kreisenden Debatte treibt, ist aber die gute alte Vernunft- und Wissenschaftskritik. In der Entgegensetzung von Artificial Intelligence und African Intelligence sorgt auch sie sich um das Überleben von Weltzugängen jenseits von Rationalismus und Szientismus.

Wildes Denken

Diawara, 1953 im malischen Bamako geboren, tut dies weniger als Ethnologe, der sich wie einst Claude Lévi-Strauss auf die Spuren eines mythologisch geprägten „wilden Denkens“ begab, um dessen Gleichwertigkeit gegenüber einem „domestizierten Denken“ herauszuarbeiten. Er tut es nicht als Philosoph wie der rebellische Wissenschaftstheoretiker Paul Feyerabend, der in „Wider den Methodenzwang“ und „Erkenntnis für freie Menschen“ ein keineswegs naives, oft zu Unrecht lächerlich gemachtes „Anything Goes“ formulierte. Und er tut es nicht mit jenem romantisch-esoterischen Aussteigergestus, wie ihn seinerzeit Carlos Castaneda in seinen Don-Juan-Romanen populär machte.

Mit seinem Plädoyer für eine menschliche Würde, die sich erst aus der Vielzahl kultureller Perspektiven ergibt, begibt er sich auf die Spuren des auf Martinique geborenen Kulturtheoretikers Édouard Glissant (1928 – 2011).

Glissants Schriften, nicht zuletzt der erst 2021 im Heidelberger Wunderhorn Verlag auf Deutsch erschienenen „Philosophie der Weltbeziehung“, verdankt er entscheidende Begriffe wie die Opazität:  die fehlende Transparenz kultureller Praktiken, wenn man so will ihre Unverständlichkeit, als beste Garantie von Diversität. Mit der Dokumentation „Un Monde en Relation“ würdigte er ihn schon 2012 als Vordenker einer Globalität, die sich nicht in gesichtsloser Globalisierung erschöpft.

Kollektiver Rausch

Der Gelehrte Diawara, der sich in Black Studies vor allem in den USA hohes Renommee erwarb, blickt sowohl als Westafrikaner, der sich vor einigen Jahren in Yene ein Haus kaufte, auf das dortige Ndeup-Treiben, wie als Nichtinitiierter, der sich vom kollektiven Rausch, der hier fünf Tage und drei Nächte lang das Dorf erfasst, nicht wegreißen lässt. Er versteht selbst nicht ganz, was hier geschieht, und er unternimmt auch keinerlei Anstrengungen, es zu erklären. Er musste selbst erst lernen, in wie vielen Kulturen Besessenheitsrituale üblich sind.

Der doppelte Blick verschafft ihm auch einen Vorsprung vor dem Filmemacher, der als Pionier des ethnografischen Films auf Diawara  den größten Einfluss ausübte: Jean Rouch. In einem seiner bekanntesten Essayfilme, „Rouch in Reverse“, geht er so respektvoll wie unerbittlich dem Vorwurf nach, der französische Regisseur habe die afrikanische Welt im Schatten kolonialer Herrschaftsverhältnisse exotisiert.

Von modischen Aneignungsvorwürfen, wie sie ihm nach der Vorführung von „AI“ im HKW ein junger Westafrikaner machte, wollte Diawara aber zurecht nichts wissen. Er erklärte, dass ihm die Problematik des Dokumentierens und Zurschaustellens sehr wohl bewusst sei, er sich seine an Glissant angelehnte Auffassung von der Notwendigkeit des freien kulturellen Austausch aber nicht streitig machen lassen wolle. Das war weder künstliche noch afrikanische Intelligenz, es war ein Moment schlicht menschlicher Intelligenz.

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