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Im Rausch. Jan-Peter E. R. Sonntag (l.) regelt den Klang am Transistorradio, während Theo Nabicht Kontrabassklarinette spielt.

© Sonntag

Akademie der Künste: Jan-Peter E. R. Sonntag hat das Rundfunkrauschen vertont

Es knattert, knistert und knallt: Jan-Peter E. R. Sonntag erforscht den ureigenen Sound des Radios - das Rauschen. In der Akademie der Künste ist seine Komposition begehbar.

Was passiert, wenn Geräusche zum Signal werden? Wenn nur das vernehmbar ist, was als störend für jedwede Kommunikation gilt? Jan-Peter E. R. Sonntag hat den ureigenen Klang des Radios – das Rauschen, Knistern und Dröhnen – in einer Komposition nachempfunden und von acht Solisten darbieten lassen. Zu hören sind unter anderem das zarte Streichen über das Fell einer Trommel oder flächige Kratzgeräusche, die nur noch entfernt an den gewohnten Sound einer Geige erinnern. „Rundfunk Aeterna“ heißt Sonntags rund 40-minütige Radio-Oper, die auf der Documenta 14 uraufgeführt wurde. Am Freitag eröffnet er im Rahmen der Transmediale eine Installation in der Akademie der Künste, durch die seine Oper begehbar wird.

1933 sprachen die Futuristen F. T. Marinetti und Pino Masnata von einer Kunst ohne Zeit und Raum, von einer unendlichen Erweiterung des Raumes durch das Radio. In „Rundfunk Aeterna“ trägt der US-amerikanische Künstler und Sänger Sam Ashley mit sanfter Stimme die 20 Punkte ihrer Schrift vor, als würde dem Zuhörer ein spiritueller Exkurs bevorstehen. Die Reise auf den unendlichen Wellen des Äthers beginnt. Es knattert, knistert, knallt, peitscht, trillert, rattert und pfeift. „Do you like the melody?“, fragt die einfühlsame Stimme.

Unsichtbares Theater

Es ist die Faszination für den Äther als Phantasma einerseits, aber auch als Knotenpunkt für die Geschichten rund um die Entwicklung des Radios, die Sonntags Komposition zugrunde liegt. Auch mit dem theoretischen Ansatz von Rudolf Arnheim hat der Künstler sich beschäftigt. Der jüdische Medienwissenschaftler sah in der Blindheit des Radiohörers eine Stärke. Sonntag verbindet diesen Gedanken mit Richard Wagner, der in Bayreuth das Orchester im Graben abdecken ließ und darüber hinaus angestrebt haben soll, ein unsichtbares Theater zu schaffen. Er selbst habe eine unsichtbare Oper entwickeln wollen, sagt Sonntag. Denn in der Oper, da würden alle Gewerke zusammenspielen.

Sonntag zeichnet die Hoffnungen nach, die mit dem neuen Massenmedium Radio verknüpft wurden, als es noch in den Kinderschuhen steckte. Es sind viele Ansätze und Blickwinkel, die er in seiner Installation vereint – Walter Benjamin tritt auf, auch Karlheinz Stockhausen und – wie sollte es anders sein – John Cage, ein Lehrer des Berliner Künstlers, dessen Radikalität er sehr bewundere. Bertolt Brecht, der in seiner Radiotheorie von 1930 dazu aufruft, den Rundfunk zu demokratisieren, ihn in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln, dessen Empfänger gleichzeitig auch Sender sind, hat Sonntag zum Aufbau seiner Installation inspiriert.

Der Besucher wird Teil der Inszenierung

Das Soundsystem, bestehend aus 16 Lautsprechern, die in einem quadratischen Gitter angelegt sind, hat er mit seinem vierköpfigen Team N-solab entwickelt. Die 360-Grad-Lautsprecher hängen von der Decke herab – ungefähr auf Kopfhöhe des Besuchers befindet sich das kugelförmige Endstück eines jeden Lautsprechers. Hinzu kommen zwei Hornlautsprecher, ein Audion, nach dessen Vorbild der Volksempfänger entstand, Receiver für niedrige sogenannte ELF-waves und ebenfalls eigens für die Ausstellung gebaute Plasmalampen. Mit insgesamt 56 Kanälen funktioniert die Installation. Sonntag selbst sitzt zur Eröffnung am Freitag an einem Transistor-Kofferradio aus den Sechzigern.

Die Klänge sind fest installiert, und der Besucher ist eingeladen, das Gitter zu betreten, sich vom Äther umschließen zu lassen. Denn darum geht es Sonntag: um die räumliche Erfahrung von Klang. Der Besucher wird Teil der Inszenierung, indem er seinen Hörplatz selbst bestimmt. Der Auftrag, den ihm die Documenta vor zwei Jahren erteilte, habe auf einem Missverständnis beruht, erklärt Sonntag. Radio höre er nur sehr selten. Ihn interessiere das Rauschen, und die anfängliche Begeisterung für das Medium.

Zeit soll fühlbar werden

Sonntag hat zunächst Kunstgeschichte studiert. Dazu passt es, dass der Besucher durch einen „Fußnotenraum“ geht, wie ihn der Berliner Künstler nennt, bevor er die Radio-Oper betritt. Hier versammelt Sonntag Bücher und Gerätschaften, die zu den Beginnen des Radios zurückführen. „Die Zeit soll fühlbar werden“, sagt der 53-Jährige. Später studierte der gebürtige Lübecker Philosophie und Kognitionswissenschaft, Bildende Kunst, Musikwissenschaft und Komposition. 2008 erhielt er den Deutschen Klangkunstpreis.

Eigentlich habe er sich nie für die Klassik interessiert, erinnert sich Sonntag. Aber eine andere Möglichkeit, Posaune zu studieren, habe er nicht gesehen. Der mikrotonalen Musik verschrieb er sich mit Leidenschaft. Und damit durchaus auch dem Virtuosentum. Wer ist besser, wer kommt höher? Der Ehrgeiz spielt für ihn auch dann eine Rolle, wenn er nicht mehr zu hören ist.

Die Welle als Sinnbild für alles

Der Begriff Rauschen – zuvor romantisch konnotiert und in der Natur verortet –, wurde durch die Erfindung des Radios zu einer Metapher für ein technisches Problem. Bei Sonntag steht das Rauschen für das Medium selbst: Es wird hörbar. Und es entsteht der Eindruck, dass das Radio kommuniziert. Der Adressat kann die Zeichen jedoch nicht verstehen, die Kommunikation ist gestört und ergebnisoffen. Eine Nichtinformation ist das, was bleibt.

Eine der beiden Lichtquellen, einer rechteckigen hüfthohen Säule gleich, erweist sich als Guckkasten: Wellen sind zu sehen, an einem diesigen Tag. „Travemünde“, sagt Sonntag. Ein Bild aus der Heimat. Die Welle als Sinnbild für alles.

„Rundfunk Aeterna X“, 1. – 7. Februar, Akademie der Künste, Hanseatenweg

Helena Davenport

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