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Kultur: Alarmstufe Rot

Die Berliner Symphoniker müssen endlich gerettet werden

Wechselduschen sind gesund, gerade jetzt im Frühling. Mal heiß, mal kalt, das macht nicht nur munter, sondern stärkt auch die Abwehrkräfte. Darin üben sich die Berliner Symphoniker schon lange (der Tagesspiegel berichtete kontinuierlich). Einerseits war das seit 1993 im Existenzkampf begriffene Orchester also nie so stark und so immun gegen (kultur-)politische Anwürfe wie heute – und andererseits auch nie so gefährdet. Im Hauptausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses am nächsten Mittwoch soll definitiv über seine Zukunft entschieden werden. Die Entwicklungen der letzten Tage offenbaren, dass keineswegs klar ist, wohin die politische Mischbatterie dann zeigt.

Donnerstagmorgen sah das Ganze noch vergleichsweise gut aus. Da traf sich die Arbeitgeberseite (Deutscher Bühnenverein, Stiftung Oper in Berlin, Konzerthaus Berlin) mit Vertretern der Deutschen Orchestervereinigung (DOV), der drei Berliner Opernorchester und des Berliner Sinfonie-Orchesters zu Tarifverhandlungen. Das Ergebnis konnte sich, unter gewissen Einschränkungen, sehen lassen. Die mit den Symphonikern solidarischen Musiker verzichten auf 9 Prozent ihres Gehaltes, erhalten dafür einen Freizeitausgleich von zusätzlich 7 Tagen plus die Garantie, dass es bis zum 31.12.2009 keine betriebsbedingten Kündigungen gibt.

Im Klartext: Zum einen soll hier der Berliner Tarifvertrag auf die Orchester angewendet werden, und zum anderen stünden den Symphonikern damit 1,215 Millionen Euro jährlich zur Verfügung. Angesichts eines erforderlichen Gesamtzuschusses in Höhe von 3,3 Millionen Euro ist das zum (Über-) Leben zu wenig und zum Sterben zu viel. Das ursprüngliche Angebot der DOV (12 Prozent Verzicht, 14 Tage Freizeitausgleich) war von den Arbeitgebern unter Angabe von „unverantwortbaren Produktionsausfällen und Einnahmeverlusten“ abgelehnt worden. Diese Lösung hätte immerhin 2,8 Millionen Euro erbracht. Allerdings stellte sich die Gewerkschaft hier flugs selbst ein Bein, indem sie nicht bereit war, auch die Aushilferegelung innerhalb der Opernorchester (und die damit verbundene Reduzierung der Aushilfeetats!) im Kontext dieser Tarifverhandlung zu diskutieren.

„Jetzt schlägt die Stunde des Parlaments!“, frohlockte Kultursenator Thomas Flierl Donnerstagnachmittag. Gleichzeitig wusste er die alarmierten Symphoniker zu beschwichtigen: Er selbst sei zwar kein Parlamentarier, aber die fehlenden zwei Millionen dürften doch aufzubringen sein ... Dann kam der Freitag. Andreas Moritz, Orchestervorstand der Symphoniker, formuliert es vorsichtig: Das Parlament ziere sich. Hatten sich Kultur- und Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses zuvor stets mehr oder weniger einstimmig für den Erhalt des Orchesters ausgesprochen, mehren sich in rot-roten Kreisen nun offenbar die Bedenken – auch und gerade unter dem Druck der eigenen Haushaltspolitik. Alles bloß Lippenbekenntnisse also und am Ende ziehen doch die (bekennend kulturresistenten) Gewährsleute der Herren Sarrazin und Strieder die Strippen? Lothar Bisky immerhin, Berlins PDS-Vorsitzender, ließ gestern verlauten, für ihn stelle die Schließung jedweden Berliner Orchesters eine „persönliche Beleidigung“ dar.

Wie immer im Leben gibt es jetzt mindestens zwei Möglichkeiten. Entweder der Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses setzt seine Glaubwürdigkeit aufs Spiel und steht weder zu seinen Aussagen noch zu seinem Gewissen. Dann werden die Parlamentarier bis Mittwoch die fehlenden zwei Millionen nicht aufgetrieben haben und große Krokodilstränen vergießen. Denn das bedeutete das sichere Aus für die Symphoniker.

Oder aber es geht ein sprichwörtlicher Ruck durchs Parlament, und man besinnt sich: Darauf, dass die Abwicklung des kleinsten Berliner Orchesters der Stadt unterm Strich kaum mehr als 500000 Euro bringt – und auf das, was Moritz eine „verantwortungsvolle Gesellschaftspolitik“ nennt. Diese zweite Variante hätte deutliche Vorteile. Einerseits bescherte sie der Berliner Orchesterlandschaft den lange ersehnten Tarifvertrag, andererseits wären die Berliner Symphoniker bis 2009 gerettet (beides ist „zwingend“ aneinander gebunden). Berlins Kulturpolitik könnte also eine doppelt gute Tat vollbringen. Und Senator Flierl stünde einmal mehr als Sieger da – ein Signal, in Zeiten wie diesen keinesfalls zu unterschätzen.

Was aber, wenn selbst das Winken mit Lorbeeren wie diesen am Ende nichts nützt? Andreas Moritz gibt sich resolut: „Dann werden wir erst richtig laut!“ Sein Kampf sei noch lange nicht ausgekämpft. Gestählte Wechselduscher haut eben so schnell nichts um.

Christine Lemke-Matwey

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