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Kultur: Albrecht Gehse: Der Pinsel säuselt

Selbst wenn die Biennalen dieser Welt alles andere als Malerei zeigen, es wird gemalt auf Teufel komm raus. Insbesondere jene Bilder der gegenständlich orientierten Wirklichkeitsfixierung, die so tun als sorgten sich die Künstler um das Reale, sind die Schlager der Saison.

Selbst wenn die Biennalen dieser Welt alles andere als Malerei zeigen, es wird gemalt auf Teufel komm raus. Insbesondere jene Bilder der gegenständlich orientierten Wirklichkeitsfixierung, die so tun als sorgten sich die Künstler um das Reale, sind die Schlager der Saison. Zwei deutsche Künstler, die in einer Zeit der reifeunfähigen Kinder und des Terrors des Juvenilen am Gegenständlichen festhalten, ohne dem Niveau der Reality-Formate à la "Big Brother" zu erliegen, sind Neo Rauch und Albrecht Gehse.

Neo Rauch, ein Erneuerer der Leipziger Schule, steht wegen seiner gelungenen Synthesen aus Erscheinungs- und Vorstellungsbild bereits seit längerer Zeit hoch im Kurs (vgl. Tagesspiegel vom 2. 5.). Ein anderer Realist, einer, dem die abgeschmolzene Erinnerung an seinen Leipziger Lehrer Bernhard Heisig sichtbar im Bild liegt, ist der in Berlin lebende Albrecht Gehse. Eher verehrt von Liebhabern der expressiven Pinselführung. Die Privatbankiers Merck Finck & Co delektieren sich gerade an einer Auswahl von Gemälden des 46-Jährigen (Uhlandstraße 175, bis 15. Mai). Zu sehen sind Bilder und eine Bronze, keine heile Welt, aber eine Sinnlichkeitsbatterie. "Den Augen ein Fest", würde es bei Delacroix heißen.

Im Zeitalter der radikalen Beschleunigung setzt der Gehse auf Entschleunigung, malerisch aufgekochte, lustvolle Selbstreflexion, die Verrückung eingefahrener Wahrnehmungsmuster. Ihm geht es um Zeit- und Realraumerfahrungen und - in der Fun-Gesellschaft eher die Ausnahme - um erkenntnissüchtigen Augenschmaus. Von rabenschwarzer Melancholie bis in höllische Revolten reichen die Emotionsfelder. Mal säuselt der Pinsel aquarellhaft über den Grund, dann wieder sticht er durch Farbwogen. Mittendrin Gehses Zentralfigur "Fisch-Fiete im Glück", halb Marktschreier, halb Prediger einer Zurück-zur-Natur-Bewegung.

Manche Bilder sind im Format klein, ihre Sujets intim, andere beschwören Kunstgeschichte mit theatralischem Donnerhall. Vom "Meeresfrüchtecocktail" bis zum Tutti-Frutti divergierender Gesellschaftsschichten und historischer Figuren reicht die artistische Verköstigung. In "Späte Bootspartie"(1997/2000) zeigt Gehse Flagge mit einer absurden Narrenschiffszene. Dicht an dicht quetschen sich die Rührlöffel der Politik zum Herrschaftspiel auf hoher See: DDR-Armeegeneral Kessler und ein Grenzer auf Volkswacht führen das Schlamassel an, Hanna Schygulla und Bärbel Bohley spielen Heulsusen, Bert Brecht und Rainer Eppelmann beten um die Wette, den eingeschlafenen Erich Honecker weckt auch der heraufziehende Orkan nicht mehr. Das sind Impressionen aus einer Totenbarke. Immer wieder tauchen Fische auf: als Retter der Gläubigen aus den Untiefen der Welt, Symbole des Lebendigen, als gegrillte oder gekochte Wasserwesen. Gehse hat dem Hecht ein Denkmal gesetzt - und nicht etwa der Dampfnudel. Das will was heißen!

Christoph Tannert

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