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Für immer ein Hippie. Neil Young singt für die Rettung der Welt.

© Warner

Album "Colorado" von Neil Young: Jammen auf hohem Niveau

Fast so gut wie seine Klassiker: Neil Young hat mit Crazy Horse das widerborstig schöne Album „Colorado“ aufgenommen.

Die Zukunft ist schon lange nicht mehr das, was sie mal war. Wenn wir so weitermachen, das Klima aufheizen und die Meere ruinieren, wird es böse enden. Dabei könnte die Lösung so einfach sein. „Shut it down“, skandiert Neil Young, während die Gitarren apokalyptisch rumpeln und dröhnen, und ein lieblich säuselnder Chor antwortet: „Shut the whole system down.“ Genau, man muss das alte, abgewirtschaftete System abschalten und den Planeten dann auf eine neue, bessere Art wieder hochfahren. Der Sänger denkt an Vögel und Bienen, will aber auch die Bücherregale retten. Wenn alle mitmachen, wird es gelingen. Die Zukunft? Er sieht sie mit Zuversicht.

Wütender denn je

„Shut It Down“ heißt das Agitrockstück, das seine Botschaft mit wuchtigen Schlägen in die Köpfe der Hörer trommelt. Neil Young ist jetzt 73, ein alter Hippie, der noch immer die Welt verbessern möchte und auf seinem neuen Album „Colorado“ wütender denn je klingt. Da bekennt er, ein „alter weißer Typ“ zu sein, der schon viele andere alte weiße Männer erlebt habe, die Mutter Natur zerstören wollten („She Showed Me Love“).

Zu wabernd hallenden Klavierakkorden übt er Selbstkritik, seufzt, dass seine Generation so viel nicht getan habe, was sie hätte tun müssen („Green Is Blue“). Und in der kämpferischen Mitsinghymne „Rainbow Of Colors“ beschwört er mit bebender Inbrunst, dass die Regenbogenfarben Amerikas nicht weißgewaschen werden können. Der Song plädiert für Fremdenfreundlichkeit und Toleranz, er richtet sich gegen den Mann im Weißen Haus, auch wenn dessen Name nicht genannt wird.

Gegen das Weißwaschen

„Colorado“ ist eine überaus eingängige, widerborstig schöne Platte, die es durchaus mit Klassikern wie „Tonight’s The Night“ oder „Sleeps With Angels“ aufnehmen kann. Aufgenommen hat Neil Young sie in einem Studio in den Rocky Mountains von Colorado mit seinen alten Weggefährten von Crazy Horse, mit denen er seit 1969 immer wieder zusammenarbeitet. Ralph Molina sitzt am Schlagzeug, Billy Talbot spielt Bass und Nils Lofgren, Mitglied von Bruce Springsteens E Street Band, ersetzt den erkrankten Frank Sampedro an der Gitarre. Die meisten Songs wurden live eingespielt, sie fließen so traumwandlerisch sicher dahin und schlagen dabei so fröhlich Haken, dass die Verbundenheit der Musiker sofort zu spüren ist. „Crazy Horse spielen ganz einfach“, hat Young gerade in einem Interview gesagt. „Ihr Sound ist schnörkellos.“

Einfachheit als Ideal

Eröffnet wird das Album mit einer windschiefen Mundharmonika des Countryheulers „Thinking Of Me“, der auch auf „Harvest“ passen würde, Youngs Meisterwerk ländlicher Musiken aus dem Jahr 1972. Später zitiert er die splitternden E-Gitarren-Exkurse seines Jahrhundertsongs „Cowgirl In The Sand“, und die lieblichen Satzgesänge seiner Begleiter erreichen beinahe die Vokalvirtuosität von Crosby, Stills & Nash, der anderen Gruppe, mit der Young jahrzehntelang kollaboriert hat.

„Won’t someone help me lose my mind?“, fragt der in Kanada geborene und seit mehr als einem halben Jahrhundert in den Vereinigten Staaten lebende Musiker. Es geht um Konsumwahnsinn und Verschwörungstheorien, der tonnenschwere Gitarrengroove knüpft an die letzte Zusammenarbeit mit Crazy Horse an. Das Doppelalbum „Psychedelic Pill“, nach Youngs Angaben sein erstes Werk, das ohne den Einfluss von Drogen zustande kam, wirkte 2012 wie ein Trip in eine andere Art von Bewusstsein. Die Stücke waren grandiose Jams, bis zu 28 Minuten lang. Auf „Colorado“ knackt nur ein Song die Zehn-Minuten-Marke, die eisenbahnartig dahinzuckelnde Ballade „She Showed Me Love“, eine Liebesbekundung nicht an eine Frau, sondern an die Schöpfung.

Eisbär auf der Scholle

Sorgenvoll ist der Sänger, aber sein Optimismus lässt sich nicht erschüttern. Zwar erzählt er in „Green Is Blue“ mit wispernder Stimme vom Eisbär, der auf einer Eisscholle durchs Polarmeer treibt, ein Menetekel des Klimawandels. Doch an die Natur und ihre Kraft glaubt Young mit nahezu religiöser Zuversicht. „Mother Earth“ hat er schon 1990 auf seiner Grungerockplatte „Ragged Glory“ eine Hymne gewidmet. Die Spiritualität eines Pantheisten zieht sich durch sein ganzes Werk, für ihn zeigt Gott sich in der Natur. Wenn er nun zerknirscht singt: „We saw tomorrow / We longed for a better day“, knüpft er an „Walk Like A Giant“ an, den bandwurmlangen Protestsong vom „Psychedelic Pill“-Album, in dem er die donquichottesken Kämpfe seiner Generation für eine bessere Welt beschreibt.

Neil Young war immer ein bemerkenswert produktiver Künstler, das hat im Alter nicht nachgelassen. Nahezu jedes Jahr bringt er eine Platte heraus, manchmal auch zwei. Als er 2015 sein Album „The Monsanto Years“, aufgenommen mit den 40 Jahre jüngeren Musikern der Band Promise of the Real, wetterte er gegen den Agrarkonzern Monsanto und dessen Machenschaften, der inzwischen zu Bayer gehört. Die Wut, die sich damals gegen das „Gift“ der patentierten Samen und die „verpestete Flut“ der Pestizide richtete, ist nun auf „Colorado“ grundsätzlicher und damit auch unschärfer geworden. „Blindheit“ habe sich über die Welt gelegt, klagt Young.

Schön ist es, auf der Welt zu sein

„Colorado“ enthält zehn Songs, und keiner davon ist schlecht. Der letzte heißt „I Do“ und ist einer der schönsten. Zu tiefenentspannten Gitarrenakkorden und einer leise schwebenden Mundharmonika singt Young von der Sonne, den Blumen und dem Glück, auf der Welt zu sein („Colorado“ von Neil Young und Crazy Horse ist bei Warner erschienen),

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