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Kultur: Alle für einen, einer für alles

40 Jahre Freundschaft: Daniel Barenboim feiert mit den Berliner Philharmonikern

Niemand wäre verwundert gewesen, wenn sich Daniel Barenboim am Dienstag in der Philharmonie unter die Kartenkontrolleure am Eingang gemischt hätte. Denn an diesem Abend wollte er einfach alles machen: 40 Jahre künstlerischer Freundschaft mit den Berliner Philharmonikern galt es zu feiern – und da wollte der vielfach begabte Künstler die ganze Palette seines Könnens zeigen. Auf dem Programm: das zweite, dritte und vierte Klavierkonzert von Ludwig van Beethoven. Dirigent: Daniel Barenboim, Solist: Daniel Barenboim. So etwas traut sich sonst nur Justus Frantz.

Doch der in Argentinien geborene Weltbürger mit dem israelischen Pass war noch nie zögerlich, wenn es darum ging, schier Übermenschliches zu bewältigen. Als der legendäre Philharmoniker-Intendant Wolfgang Stresemann dem 22-jährigen Barenboim anbot, mit Bela Bartoks Klavierkonzert in Berlin zu debütieren, sagte der Jungstar sofort zu – obwohl er das Werk, eines der schwierigsten der Klavierliteratur, noch nie gespielt hatte. Er brachte den Abend im Juni 1964 dann ebenso souverän über die Bühne wie die folgenden 202 Auftritte mit dem Orchester, seit 1969 auch als Dirigent. Zweimal war Barenboim nahe daran, von den Musikern zum Chefdirigenten gewählt zu werden; zweimal musste er dann doch zurückstehen, 1989 hinter Claudio Abbado, 1999 hinter Simon Rattle.

Die eingeschworenen Barenboim-Fans sind in Berlin Legion. Das war am Dienstag in der bis zum letzten Stehplatz ausverkauften Philharmonie eindrücklich zu erleben. Eine Welle der Sympathie schlägt dem Maestro schon beim ersten Auftritt entgegen. Ausdauernde standing ovations verstehen sich nach dem zweieinhalbstündigen Marathon-Konzert da fast von selber. Und Daniel Barenboim hat sie verdient: Die Konzentrationsleistung, die er hier vorführt, grenzt ans Mirakulöse.

Sicher, ohne ein Orchester wie die Berliner Philharmoniker wäre ein solches Unterfangen nicht denkbar. Notfalls könnten die Spitzenmusiker auch ganz ohne dirigentische Hinweise auskommen, so aufmerksam verfolgen sie Barenboims Spiel, so einfühlsam passen sie sich seinen gelegentlich überraschenden Temposchwankungen an. Auch die heikelste Stelle des Programms, der zweite Satz des vierten Klavierkonzerts, in dem das Klavier gegen die heftigen Anwürfe des Orchesters Ruhe bewahren muss, gelingt reibungslos: Die Tutti-Thesen kommen machtvoll und absolut präzise, der Pianist setzt sensibel seine Antithesen dagegen, bis sich beide Parteien schließlich in einer freundschaftlichen Synthese dem Finale des Konzerts entgegenjubeln.

Daniel Barenboims Beethoven ist ein echter Feuerkopf, ein grimmiger Meister mit wilder Mähne, so wie ihn die Anhänger des Geniekults im 19. Jahrhundert erfanden. Stürmisch bewegt wünscht er sich darum den Orchesterklang, mit unfehlbarem Gespür für bühnenreife Effekte lässt er als Pianist die besonders schönen, charakteristischen Stellen im hellen Steinway-Glanz aufblitzen. Obwohl der Schwerpunkt seiner Arbeit in den letzten Jahren auf dem Dirigieren lag, gebietet Barenboim immer noch über eine phänomenale Geläufigkeit. Wie er sich in die Läufe stürzt, aufstrebende Linien in Luft auflöst und bei allem überströmenden Mitteilungsdrang doch immer wieder auch zu Momenten der Ruhe findet, lässt sich wohl nur mit kitschigen Worten beschreiben: Bei diesem Mann kommt die Musik einfach aus dem tiefsten Inneren.

Man könnte auf Barenboims exzessiven Pedalgebrauch abheben, könnte die Wucht mancher Kadenzen hinterfragen, kleine pianistische Schummeleien im virtuosen Passagenwerk ankreiden – doch letztlich wäre das nur Nörgelei. Der eine, einzige Satz, den Tagesspiegel-Rezensent Werner Oehlmann dem Philharmoniker-Debütanten in seiner Kritik vom 14. Juni 1964 widmete, gilt auch noch für den mittlerweile 62-jährigen Interpreten: „Daniel Barenboim vollbrachte mit der Wiedergabe des geistig und physisch ungemein anspruchsvollen Klavierparts eine überragende Leistung; nicht nur die technische Beherrschung war zu bewundern, noch schöner war das spontane Temperament des Vortrags, das jede Note, zu lebendiger, mitreißender Musik machte.“

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