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Kultur: Alles aus Zucker

Wie der Installationskünstler Thomas Rentmeister Alltagsgegenstände zur Skulptur erklärt

„Achtung! Dieser Keks ist kein Müll. Bitte hängen lassen!“ Thomas Rentmeister hebt die Warnnotiz auf, die unter einem an der Wand hängenden Sesamkringel liegt, und lächelt schief. Wie ein Fundstück zu Kunst wird, weiß er, der Bildhauer und Objektkünstler, auch nicht recht. Aber er weiß, wann es soweit ist. Die Wesensverwandlung kann überall passieren, im Atelier, auf der Straße, in den Ausstellungsräumen. Und ist etwas erstmal Kunst, gehört es geschützt.

Ausstellungsmacher und Künstler sind vorsichtig geworden, seit einstmals eine eifrige Reinigungskraft in der Düsseldorfer Kunstakademie, in der damals auch Rentmeister studierte, eine Beuys’sche Fettecke wegputzte. Und besonders aufpassen sollte jemand wie Thomas Rentmeister, der den Skulpturbegriff dehnt und dehnt und immer weiter dehnt. Materialien, mit denen er arbeitet: Zucker, Nutella, zerknüllte Tempo-Taschentücher, Tampons, Schmutz. Oder eben mit solch einem Sesamkringel, den hier jemand „Keks“ nennt. Der aber jetzt – angeknabbert durch den Skulpteur – Kunst ist.

Thomas Rentmeister betrachtet seine Arbeiten, die er im Haus am Waldsee unter dem Titel „Mehr“ zeigen will. Mehr Rentmeister, mehr Experimente. Mehr Zucker. In einem Raum liegen fünf Tonnen bereit, noch verpackt. Marianne, die Assistentin, bügelt Tischdecken, und stapelt sie zu einer Skulptur. Der 1964 im westfälischen Reken geborene Künstler ist sich noch unschlüssig: Soll man die frühen Zeichnungen zeigen? Welche Bezüge ergeben sich zu den neuen Arbeiten? Ist weniger mehr oder doch, ganz banal, weniger? Wann und wie schlägt Quantität in Qualität um?

Auf dem Hof der Eltern hat Rentmeister erste Skulpturen gebaut, aus Gartengerät und Müll. Sah noch sehr wild aus. Später werden seine Arbeiten reduzierter, sauberer, haargenau konzipiert. Fasziniert war er von seinem Onkel Hans, erzählt er. Ein Hobbybastler. Onkel Hans baute aus Wagenräder Tische und aus Ketten Kerzenständer. Eine im Haus am Waldsee ausgestellt Zeichnung Rentmeisters zeigt so einen Wagenradtisch. Auch wenn der Künstler die Erzeugnisse des Onkels furchtbar fand – dessen Experimentierfreude ist ihm Referenz: „Was nicht zusammengehört, bringe ich zusammen. Und dieser Materialsurrealismus ergibt vielleicht einen neuen Sinn.“

In ersten Ausstellungen, noch bevor Rentmeister bei Günther Uecker und Alfonso Hüppi studierte, reihte er Tassen an eine Wand und füllte sie mit Kaffee und – in unterschiedlicher Menge – mit Milch. Eine in Braun changierende Tonleiter. Minimalistisch, schön. Jahre später, 2001, nimmt er noch einmal darauf Bezug mit einer überdimensionierten Tasse aus Polyester, gefüllt mit Milch. Mit Polyesterarbeiten gelang ihm in den neunziger Jahren der internationale Durchbruch. Auf dem Boden zerfließende Formen mit spiegelnden Oberflächen. Handwerklich perfekt und extrem aufwendig, außerirdisch fremd, beseelt.

Im Haus am Waldsee wird davon nichts zu sehen sein. Thomas Rentmeister, der in Weißensee lebt, geht neue Wege. Will wieder mehr experimentieren. Er zeigt einige vorgefundene Objekte, die er kaum verändert. Er hat in dem Sesamkringel oder dem vollen Aschenbecher von der letzten Silvesterparty, den er hier ganz museal in einer Vitrine präsentiert, die „ehrliche Einfachheit“ entdeckt. Auch auf Nutella-Berge verzichtet er bei seiner neuen Schau. Dieses Symbol für das untergegangene Wohlstands-Westdeutschland, diesen Erfahrungskitt der erfahrungsarmen Generation Golf, benutzte er zum ersten Mal 1999, als er ein Regal damit beschmierte. Später modellierte er daraus knöchelhohe Gebirge auf dem Boden, machte kleine Häufchen, die aussahen wie Exkremente. Einmal füllte er gar eine Kloschüssel mit dem Nuss-Nougat- Aufstrich („Das musste einfach mal sein. Die formale Versuchung war zu groß“). Da hatte Nutella-Hersteller Ferrero schon längst keine Lust mehr, seine Ausstellungen zu sponsern. Egal, findet Rentmeister: „Oft benutzen Unternehmen Künstler als Aushängeschild. Ich fand es interessant, in deren Imageproduktion rumzupfuschen.“

Natürlich lassen sich seine Arbeiten als Kommentar zur Stumpfheit der Warenwelt lesen, zum ewig hedonistischen, kindhaften Verlangen nach mehr und immer mehr: Chipsberge in Einkaufswagen, Mauern aus Tetrapaks, mit Penatencreme beschmierte Kühlschränke. Den säckeweise bereitliegenden Zucker kippt Thomas Rentmeister über einen Einkaufswagen – als hätte der sich festgefahren im Überfluss. Beim Rundgang durch die Ausstellung lässt sich der für den marktschreierischen Titel „Mehr“ überraschend bescheidene Künstler nur selten dazu hinreißen, seine Arbeiten zu deuten. Es geht ihm weder um Konsumkritik noch um eine Erweiterung des Kunstbegriffs. „Ich will intensive Bilder herstellen“, sagt er.

Und das gelingt oft. Besonders seine Lebensmittel-Assemblagen, aber auch die objets trouvés und die polierten Polyesterdinger, erzeugen ambivalente Eindrücke: Ekel und Anziehung, Ablehnung und Faszination. Vexierbilder sollen die Arbeiten sein, die zu spontanen Wahrnehmungswechsel führen. Selbst an die Kapriolen der Gegenwartskunst gewöhnte Experten geraten da schon mal durcheinander: Ästhetikprofessor Bazon Brock etwa sah in der TV-Sendung „Bilderstreit“ durch zuviel Kunst nach Rentmeister-Manier den „Führungsanspruch der westlichen Welt“ in Gefahr. Interessant.

Auch der Vorwurf, Rentmeister sei geschichtsvergessen, trifft die Sache nicht: Spricht der Künstler von seinen zerknüllten Taschentüchern, redet er auch von Reiner Ruthenbecks Papierhaufen, zeigt er mit seinen schweren Händen auf die an eine Leinwand geklebten Fingernägeln, redet er von den strengen Kompositionen Barnett Newmans. Überhaupt, die amerikanische Farbfeldmalerei, die begeistere ihn. Doch Thomas Rentmeister sagt es so nebenbei, als bedeutet es nichts. Denn: Ob man für seine intensiven Bilder die Kunstgeschichte oder Nahrungsmittel wiederverwertet, ist gleichgültig. Müll werden sie dadurch noch lange nicht.

Bis 29. April im Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30, Steglitz-Zehlendorf, täglich von 10 bis 18 Uhr.

Daniel Völzke

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