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Kultur: Alles Fanny Müller oder was? Gesammelte Geschichten

der großen Humoristin

Wage es, dich deines Verstandes zu bedienen, lautete ein Wahlspruch der Aufklärung. Wage es, dich deines Witzes zu bedienen, dürfte heute die richtige Maxime sein, um mit dem Alltag fertig zu werden. Vielleicht ist das in mancher Hinsicht sogar das gleiche. Denn die Liste der Zumutungen ist überlang.

Auf ihr steht der neue Computer („der war praktisch am Nachmittag des Tages, als ich ihn kaufte, hoffnungslos veraltet“) ebenso wie die Nouvelle Cousine („eine Richtung, bei der man nie genau weiß: Ist das jetzt schon das Futter oder nur die Tellerbemalung?“). Es zählen dazu Handwerker und andere Wohnungseinbrecher, der Süßholz raspelnde Charmebolzen und die Mitpatienten in der Rehaklinik – wie überhaupt viel zu viele Zeitgenossen. Wobei Nostalgie garantiert keine Lösung ist, sie führt nur zurück in „die böse alte Zeit“.

Damit aber die Gegenwart nicht zu böse wird, nimmt die im Hamburger Schanzenviertel ansässige Fanny Müller sie auf die Schippe, und sie tut das in ihren zwischen „taz“ und „Titanic“ veröffentlichten Glossen und Geschichten so bestrickend, dass sie bereits als „Kultautorin“ angebetet wurde. („Wozu schon Werner gesagt hat, dass ein alter Trecker, wenn er angelassen wird, kultkultkult macht.“) Andere bezeichnen sie, weil ihre freundlich fiesen, den Geist hanseatischen Understatements atmenden und mit Selbstironie verfeinerten Humoresken und Skizzen an die große, mit Namen wie Victor Auburtin, Kurt Tucholsky und Robert Walser verbundene Tradition des Feuilletons anknüpfen, als modernen weiblichen Alfred Polgar.

Letztlich ist Fanny Müller aber nur mit Fanny Müller zu vergleichen. Beziehungsweise mit „Fanrg Multer“: Diesen Namen muss sie auf einer Postkarte aus Italien lesen. „Seit es Computer gibt, wird eine gute Handschrift ja nicht mehr gepflegt“, kommentiert Fanny Müller diesen Fall. Gut lesbar sind die Geschichten in „Keks, Frau K. und Katastrophen“ in jedem Fall. Und wer sie noch nicht kennt, hat jetzt die Gelegenheit, denn der neue Sammelband vereint alle früher, zumeist bei der Berliner Edition Tiamat in Buchform erschienenen Geschichten – und 39 neue dazu.

Fanny Müller: Keks, Frau K. und Katastrophen. Alle Geschichten und 39 mehr. Haffmans bei Zweitausendeins, Frankfurt a. M. 2004. 592 Seiten, 13,90 €.

Peter Köhler

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