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Kultur: Alles für den Kanon

Sammelalbum: „Goethes Bildergalerie“, eine Ausstellung in Weimar

Als Goethe zu seiner Italienischen Reise aufbrach, gab er sich unter Pseudonym als Maler aus. Auf der Reise selbst griff er fast täglich zum Zeichenstift oder zum (Aquarell-)Pinsel. Auch kokettierte er damit, ob er sich nicht lieber der Malerei widmen sollte. Wie wir wissen, entschied er sich für die Literatur. Dass er gleichwohl – neben vielen anderen Interessen – der bildenden Kunst treu blieb, ist später auch den herzoglichen Kunstsammlungen in Weimar zugute gekommen. So errichtete deren Leiter Johann Heinrich Meyer, angeregt und unterstützt von Goethe, 1825 im Jägerhaus vor dem Frauentor ein erstes Kunstmuseum mit 275 Gemälden, Zeichnungen und Skulpturen. Der Vorgang war typisch für jene Zeit: Auch in Dresden, Wien und Berlin gab es Bestrebungen, die fürstlichen Sammlungen öffentlich zu präsentieren.

Eine Vorstellung davon, wie diese Bildergalerie ausgesehen hat, lässt sich derzeit im Schlossmuseum Weimar gewinnen. Unter dem Titel „Goethes Bildergalerie“ hat man die damalige Schau rekonstruiert, streng nach dem Inventarverzeichnis von 1824/25. Der Betrachter sieht sich unmittelbar in die Goethe-Zeit zurückversetzt. Aus heutigem Blickwinkel erstaunt das damalige Stilempfinden – die ganz andere Unterscheidung zwischen Wichtigem und Unwichtigem und das vergleichsweise noch dürftige Wissen über das kulturhistorische Erbe der italienischen Renaissance, des Barock oder der niederländischen Malerei des 16. und 17. Jahrhunderts. Dazu passt die altertümliche Hängung. Die Bilder sind in drei, vier Reihen eng übereinander plaziert, so dass man unwillkürlich an die Präsentation von Briefmarkenalben erinnert wird. An eine Inszenierung des Gezeigten, wie sie der heutige Museumsbetrieb kennt, war damals nicht zu denken.

Offenbar machte es außerdem keinen allzu großen Unterschied, ob es sich bei den gezeigten Werken um Originale oder um Kopien handelt. Es ging vor allem um die im Bild verkörperte künstlerische Idee. Unsere Vorstellung vom Original-Originären eines Kunstwerks und von der Einmaligkeit seiner Schöpfung – den Museumsleuten des 19. Jahrhunderts war sie fremd.

Glanzstücke neben Kopien

So finden sich Glanzstücke der Sammlung oft in unmittelbarer Nachbarschaft zu mittelmäßigen Kopien: die beiden Tucher-Portraits von Albrecht Dürer neben Putti-Kopien aus der Sixtinischen Kapelle oder Lucas Cranachs „Christus und die Ehebrecherin“ neben Kopien nach Rubens, Reni und Giulio Romano. Und vier Caspar David Friedrich-Gemälde (wovon eines seit Kriegsende verschollen ist, man zeigt einen Druck davon) hängen neben nachrangiger Romantik sowie Werken, die Niederländern des 17. Jahrhunderts zugeschrieben werden.

Aufregend an der Ausstellung ist dennoch die zeitliche Distanz zum Heute, eine Distanz von 180 Jahren. Den Museumsleuten von 1825 ging es weniger um die kunsthistorische Zuordnung der Gemälde als um Bildung. Man wollte zeigen, was zum Kanon gehört. So führt diese Weimarer Ausstellung die Anfänge des deutschen Bildungsbürgertums vor Augen – uns Zeitgenossen, die wir heute dessen Ende auszumachen glauben.

Goethe, der geistige „Schirmherr“ dieser Bilderschau, hatte dazu in ganz anderer Weise Distanz empfunden. Seinem Freund Winckelmann folgend, galt sein Interesse vor allem der Antike. In Rom, Neapel und Sizilien war er deren Spuren nachgegangen, während er sich für die italienische Renaissance nur wenig zu erwärmen vermochte.

Auch an der niederländischen Malerei des 16. und 17. Jahrhunderts zeigte er kein ausgeprägtes Interesse. Die einzige Ausnahme von alledem bildete Raffael, ohnehin der Götterliebling par excellence. Was die Zeitgenossen betrifft, machte sich Goethe vor allem für Hackert, Tischbein und Caspar David Friedrich stark. Dass man in Weimar schon sehr früh Bilder von Friedrich erwarb, war ungewöhnlich und mutig. Die jetzige Ausstellung trägt somit zu Recht Goethes Namen im Titel.

Wie eng der Dichter mit der Bildergalerie im Jägerhaus verbunden war, wird auch daran deutlich, dass diese bereits 1837 wieder schloss. Sie hat Goethe nur um fünf Jahre überdauert.

„Goethes Bildergalerie“, Schlossmuseum Weimar, bis 12. Januar, Katalog 22 Euro.

Ingo Fessmann

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