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Mädchen mit dem Perlenohrring. Henriette von Carlowitz saß dem Meisterporträtisten Anton Graff 1772 in Dresden Modell. Jetzt erstrahlt sie in neuem Glanz – die Firnisschichten und Retuschen wurden entfernt.

© Kerstin Krainer/SMB

Schweizer Porträtmaler: Alte Nationalgalerie restauriert ein Meisterwerk von Anton Graff

Makellose Schönheit: Die Alte Nationalgalerie hat ein Gemälde des Schweizer Porträtmalers Anton Graff restauriert. Ab Sonntag ist es zu sehen.

„Das ist die Mona Lisa der Alten Nationalgalerie!“ Verzückt betrachtet der Sammler Christoph Müller die junge Dame auf dem Bildnis. Sie lächelt zurück. Henriette von Carlowitz war 21 Jahre alt, als der Meisterporträtist Anton Graff sie im Jahr 1772 in Dresden zur Modellsitzung bat. Jetzt ist sie wieder zurück. Einen strahlenden Soloauftritt gönnt die Alte Nationalgalerie in Berlin dem frisch restaurierten Meisterwerk und seiner „Wiedergeburt“. Die selbstbewusste Schöne mit dem Perlenohrring und dem gewissen Lächeln hat es verdient. Unglaublich präsent wirkt ihr unverstellter Blick. Makellos der porzellanhelle Teint. Ihr ebenfalls von Graff porträtierter Ehemann hängt in der Nationalgalerie Breslau und wartet noch auf bessere Tage.

Auf einer Auktion gelang es dem Mäzen Christoph Müller 2014, das Bild für Berlin zu ergattern. Damals sei das Gemälde weit weniger schön gewesen. Will heißen: nicht ausstellungsfähig. Dicke vergilbte Firnisschichten verschleierten die Porträtierte – und die Qualität des Gemäldes. Verschmutzungen mussten abgetragen, Fehlstellen behutsam repariert und alte Retuschen entfernt werden. „Aufregend“ war das, erzählt Restauratorin Kerstin Krainer über ihre verantwortungsvolle Aufgabe: „Da darf nichts schiefgehen.“ Jetzt tritt auch sie, gemeinsam mit dem kostbaren Gemälde als ihrem Schützling, erstmals aus dem Schatten ihrer Werkstatt, wo sie gewöhnlich vor der Öffentlichkeit verborgen werkelt.

Neue Erkenntnisse über Graffs Maltechnik

Das Museum will mit der kleinen Kabinettausstellung auch einen exemplarischen Einblick in den Maschinenraum des Hauses geben – pünktlich zum 1. Europäischen Tag der Restaurierung am Sonntag. Hier wird buchstäblich Grundlagenforschung betrieben. Tiefrot schimmert ein Häufchen Chochenille-Pigmentpuder, einst ein begehrter Überseeimport, der aus Kaktus-Läusen gewonnen wurde. Anton Graff verlieh den Lippen seines Modells auf diese Weise das spezielle lebensvolle Schimmern. Winzige Spuren davon entdeckte die Restauratorin auch im Inkarnat, im Hautton der Schönen. So gewinnt die Forschung neue Erkenntnisse über Graffs ausgefuchste Maltechnik. Jetzt weiß man auch, dass er die zierliche Aristokratin im Schaffensprozess noch ein wenig schlanker machte. Selbst Rückseite und Bildträger verraten Wichtiges zur Provenienz des Porträts, das sich 250 Jahre in Privatbesitz befand. Drei Schichten Leinwand, hinterspannt und aufgedoppelt, stabilisieren seit Langem das Bild.

Schrittweise veranschaulichen Detailfotos und ein Videoclip, wie sich das Gesicht der jungen Adeligen Schicht für Schicht bei der Restaurierung aufhellte. Makellos wirkt jetzt ihr porzellanheller Teint. Erst ganz aus der Nähe zeigt sich ein hauchzartes Craquelé, das wie ein feines Netz die Malschicht durchzieht. Es lässt die Dargestellte noch fragiler erscheinen.

Der Porträtmaler Anton Graff wusste, wie man eine Persönlichkeit zum Strahlen bringt. Schon die Zeitgenossen staunten über seine Fähigkeit, den Funken eines Individuums auf fast magische Weise auf den Betrachter überspringen zu lassen. Die gesamte Riege der Dichter und Denker, Mächtigen und Kreativen aus der Ära der Aufklärung hat er festgehalten. Ein gutes Dutzend davon, nebst zwei lässig unprätentiösen Selbstbildnissen Graffs, besitzt die Nationalgalerie. Henriette von Carlowitz befindet sich künftig in bester Gesellschaft – als die Schönste von allen.

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