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Kultur: Am Himmel hoch

Faszinierend: die Chile-Doku „Nostalgia de la luz“

Der wissenschaftliche Blick in die Milliarden Jahre alte Vergangenheit des Kosmos. Archäologische Ausgrabungen verschiedener Epochen. Und die beharrliche Suche nach den letzten menschlichen Überresten von der chilenischen Militärjunta entführter und gequälter Gefangener. Das sind die nur scheinbar disparaten Ausgangsorte für die Suchbewegungen von Patricio Guzmáns Dokumentarfilm „Nostalgia de la luz“, der sich – meisterliche Summe eines gewichtigen Lebenswerks – die großen Lebensfragen nach dem Woher, Warum und Wohin stellt.

Der 1941 in Santiago de Chile geborene Patricio Guzmán ging nach dem Militärputsch 1973 erst nach Kuba und dann nach Paris ins Exil und widmete sich in vielfach ausgezeichneten Arbeiten wie „La Batalla de Chile“ (1973), „La Cruz del Sur“ (1992), „El Caso Pinochet“ (2001) oder zuletzt "Salvador Allende" (2004)  immer wieder der Geschichte seines Heimatlandes. Seit der Kindheit begeisterte er sich zudem für die Astronomie. „Nostalgia de la luz“ bündelt sternenkundliche Leidenschaft, historische und existenzielle Fragestellungen zu einem dichten Essay über ein Land, das heute mit historischer Blindheit geschlagen scheint.

Der Ort, wo die Spuren sich kreuzen, ist die Salzwüste von Atacama, wo unmittelbar neben futuristisch anmutenden Observatorien Mütter und Schwestern von „Desaparecidos“ seit Jahrzehnten mit bloßen Händen nach weit verstreuten Knochenresten suchen. Der Archäologe Lautaro erforscht präkolumbianische Steinzeichnungen am rötlichen Fels. Menschenleer auch die vom Wüstenwind verwehten roststarren frühindustriellen Minen, deren Arbeiterbaracken später als Konzentrationslager dienten.

Es ist die extreme Trockenheit, die Astronomen aus aller Welt hierher pilgern lässt, um in ferne Galaxien zu schauen. Für die Botschaften aber der jüngeren Vergangenheit scheint zumindest die chilenische Gesellschaft nicht bereit. Die Diktatur und auch die frühkapitalistischen Grausamkeiten des 19. Jahrhunderts sind aus dem kollektiven Gedächtnis verbannt. Was ist das für eine Welt, fragt Guzmán, die modernste Hochleistungs-Sternwarten in die Wüste schafft, aber – auch in den Schulbüchern – die Erinnerung an die letzten Jahrzehnte verdrängt?

Der Regisseur befragt Archäologen und Himmelforscher und begleitet einen Architekten und ehemaligen Lagerhäftling, der die alten Anlagen aus dem Gedächtnis zeichnerisch minutiös rekonstruiert hat. Und er richtet die Kamera immer wieder in den ungeheuer intensiv leuchtenden Himmel – der auch poetische und bildmächtige Film (Kamera: Katell Djian) errang dieser Tage verdient den europäischen Dokumentarfilmpreis Prix Arte. Silvia Hallensleben

fsk am Oranienplatz (OmU) und Kant

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