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Kultur: Am Strand von Salvador

Silhouetten der Sklaverei: das brasilianische Tanzfestival „Move Berlim“ im HAU

Von Sandra Luzina

Zurück zu den Großmüttern. Die Erinnerungen an die Vorfahren stehen am Anfang des brasilianischen Festivals „Move Berlim 2007“ im Hebbel-Theater. „Máquina de Degastar Gente“ („Menschenzermürbende Maschine“) von Luiz de Abreu wurde in Salvador da Bahia erarbeitet, der „schwärzesten“ Stadt Brasiliens und einst größter Umschlagplatz für Sklaven. Die Tänzer, die zuerst nur als schwarze Silhouetten zu erkennen sind, sitzen im Halbkreis. Wenn die Trommeln ertönen, stimmen sie ihre Gesänge an und beginnen zu erzählen – von der schwarzen Diaspora und den Matriarchinnen. Es sind Geschichten von Stolz und Vorurteil, von Armut und Selbstbehauptung.

Die Genealogien reichen zwei, drei Generationen zurück und brechen dann ab. Die Arbeiten von Luiz de Abreu kreisen obsessiv um Fragen der schwarzen Identität. Als er vor zwei Jahren mit seinem subversiven Solo „Samba des verrückten Negers“ das Festival eröffnete, waren nicht wenige geschockt. „Schwarzes Fleisch ist das billigste auf dem Markt“, verkündete der Darsteller, der nackt in silbernen Plateaustiefeln über die Bühne paradierte und sich schon mal die brasilianische Flagge zwischen den Po klemmte.

Auch in „Menschenzermürbende Maschine“ müssen die Tänzer ihre Haut zu Markte tragen. Zu den attraktiven Schwarzen in Bikini und Badehose stellt sich eine Blondine mit Afrozöpfchen: Anpassung mal andersrum. Später wird eine brasilianische Variante der Geschichtsleugnung draus: Die Sklaverei habe es nie gegeben, erklärt die Beauty, die Weißen hätten die Schwarzen nur zum „Kulturaustausch“ eingeladen. Das ist schwarzer Humor, wie de Abreu ihn liebt – und auch schon die böseste Szene des unterhaltsamen Stücks.

Mit Hinterlist hat der Choreograf die Form der Revue gewählt; unterfüttert wird sie mit kritischen Texten. Oft ist nur eine kontrollierte Tanzlust zu sehen. Ein Aufseher mit Stock observiert die Tanzenden. Die Szenenmontage erzählt von Repression, erzwungener Anpassung, und der Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln. Durchaus lustvoll werden die kulturellen Stereotypen des hypersexualisierten Schwarzen ausgestellt, wobei Luiz de Abreu schon mal selbst in die Falle tappt. Da wird auf’s Schönste mit den Hüften gewackelt – was den deutschen Zuschauer gewiss erfreut.

Wenn in der Ahnengalerie schwarzer Ikonen, die am Ende angerufen werden, nach Nelson Mandela und Josephine Baker auch die weiße Musiklegende Gaetano Veloso auftaucht, ist das mehr als ein guter Witz. Luiz de Abreu springt hier über seinen eigenen Schatten.

Nach der „Körperzermürbenden Maschine“ die delikate Körpertherapie: In „Uma História invisivel“ (Eine unsichtbare Geschichte) von der Companhia de Dança Quasar werden zarte Fäden zwischen den fünf Tänzern gesponnen. Das Stück durchmisst Herbst, Winter und Frühling und schildert dabei eine innere Reise. Die Choreografie Henrique Rodovalhos kreist um den Gegensatz zwischen Sehen und Tasten. Die wunderbare Valeska Gonçalves versucht, durch die Kraft ihrer Berührung die vereisten Seelen aufzutauen. Das ist Tanz mit einem gewissen Paulo-Coelho-Touch.

Brasilien bewegt Berlin, Berlin bewegt Brasilien: Seit sie mit „Move Berlim“ 2003 erstmals den Brückenschlag wagten, konnten Wagner Carvalho und Björn Dirk Schlüter den Dialog vertiefen. Die brasilianischen Partner richten inzwischen Tanzplattformen für die Berliner Kuratoren ein, umgekehrt ist der brasilianische Tanz mittlerweile Forschungsgegenstand an Berliner Unis.

Radikale Polemik und sinnliche Provokationen verheißt das Programm von „Move Berlim 2007“, wobei die Arbeiten sich teilweise sehr direkt mit sozialen Missständen auseinandersetzen. So thematisiert die Gruppe Membros in „Raio X“ die Gefangenenrevolte und die anschließenden Polizeimassaker, die 1992 Brasilien erschütterten.

Ergänzt wird das Programm durch Vorträge und Gespräche; unter dem provokanten Titel „Luxusarsch mit nacktem Körper“ wird etwa über den Beitrag der Schwarzen zur brasilianischen Kultur diskutiert.

Das Festival „Move Berlim“ findet bis 22.4 statt. „Uma historia invisivel“ noch einmal heute im HAU2. Programmdetails im Internet: www.moveberlim.de

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