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Perfekte Anmut. Die Nofretete-Büste des Bildhauers Thutmosis.

© SMB, Sandra Steiß

Amarna-Ausstellung: Nofretete: Fest für eine Göttin

Nofretete, die schöne Königin, wurde vor 100 Jahren gefunden: ein Gespräch mit dem Ägyptologen Hermann A. Schlögl über Macht und Schönheit, aus Anlass der Ausstellung, die zum Jubiläum am 6. Dezember im Neuen Museum eröffnet wird.

Herr Schlögl, war Nofretete tatsächlich so schön, wie wir heute glauben?
Das ist schwer zu sagen. Als die Büste von Nofretete hergestellt wurde, war sie auch eine Göttin für das Land. Und eine Göttin hat man natürlich besonders schön dargestellt.

Die Büste, die vor hundert Jahren, am 6. Dezember 1912 entdeckt wurde, scheint mit ihren symmetrischen Gesichtszügen heutigen Schönheitsidealen zu entsprechen. Ging es dem Künstler um Porträtgenauigkeit?

Nein. „Porträt“ ist ein sehr moderner Begriff. Aber die Welt, die dargestellt wurde, hatte für die Menschen des alten Ägypten durchaus eine Realität. Deshalb ist das Wort „Bildnis“ passender. Die Büste stammt von dem Bildhauer Thutmosis, der in seiner Werkstatt viele Mitarbeiter und Lehrlinge beschäftigte. Ihre Aufgabe war es, Bildnisse des Königs, der Königin und anderer herausgehobener Persönlichkeiten herzustellen. Dabei fungierte die Büste als Muster, wie Nofretete darzustellen war. Deshalb ist auch nur ihr rechtes Auge ausgeführt. Bei dem linken Auge ist der Augenhintergrund abgearbeitet, man kann sehen, wie weit ein Bildhauer gehen musste, um den Hintergrund genauso wie beim rechten Auge hinzubekommen. Die Büste ist ein Lehrstück – und als solches vollkommen.

Gibt es denn tatsächlich zeitgenössische Kopien?

Es existieren einige andere Nofretete-Darstellungen in Stein und anderen Materialien, aber eine exakte Kopie der Büste wurde bislang nicht gefunden. Das könnte auch daran liegen, dass die nachfolgenden Herrscher versucht haben, die Erinnerung an Echnaton, Nofretete und die Amarna-Kultur auszulöschen.

Als Frau des Pharaos Echnaton war Nofretete an einer religiösen Revolution beteiligt. Er stürzte alle anderen Götter und ließ nur noch Aton gelten, den Sonnengott. Welche Rolle spielte dabei Nofretete?

Eine große. Das Wort Aton gab es bereits seit 2000 vor Christus. Es bezeichnete den Himmelskörper, die Sonnenscheibe. Doch als Echnaton und Nofretete diesen Aton in das ägyptische Götter-Pantheon einführten, bekam der Begriff eine ganz andere Bedeutung. Aton beendete die bisherige Auffassung eines Sonnengottes und offenbarte sich ausschließlich durch das Licht und im Licht. Aton war das Licht, der Schein der Sonne, der die Welt durchdrang und überall Leben spendete. Vorher waren die alten Götter mit dem Pharao in Verbindung getreten, um ihre Wünsche zu äußern. Aber Aton blieb stumm. Er sprach allein durch den König, der sein Verkünder war. Und die Gemahlin des Königs, Nofretete, war die Tochter dieses Gottes. Aton war androgyn, Echnaton und Nofretete galten als seine geschlechtlichen Nachkommen. Damit bildeten sie eine göttliche Dreiheit, eine Triade. Den neuen Glauben setzte Echnaton mit einem Bildersturm durch. Er ließ die alten Tempel schließen, teilweise die Namen zerstören, der Plural „die Götter“ wurde ausgemerzt. Und er baute eine prachtvolle neue Hauptstadt, Achetaton, das heutige Tell el-Amarna, wo die Nofretete-Büste ausgegraben wurde.

Psalmen und Sonnengesänge: Was der Aton-Kult mit heutigen Religionen gemeinsam hat

Noch mehr Nofretete. Ein Porträt der Pharaonin aus dem 15.Jhd v. Chr. im Folkwang Museum in Essen. Es gehört dort zur Ausstellung "Neupräsentation der Sammlung Außereuropäische Kunst", die am 30. November eröffnet wurde.
Noch mehr Nofretete. Ein Porträt der Pharaonin aus dem 15.Jhd v. Chr. im Folkwang Museum in Essen. Es gehört dort zur Ausstellung "Neupräsentation der Sammlung Außereuropäische Kunst", die am 30. November eröffnet wurde.

© dpa

Der Aton-Kult gilt als erster Monotheismus der Weltgeschichte. Kann man diesen Glauben mit heutigen Vorstellungen von Religion und Göttlichkeit vergleichen?

Durchaus. Es gibt Muster, die sich auch in den heutigen monotheistischen Religionen finden. Im Christentum wird Gott Mensch. Das ist auch in der Aton-Religion der Fall, wo Gott durch das Herrscherpaar Mensch wird. Was wir heute über diese Religion wissen, wissen wir durch das Hohe Lied, den sogenannten „Sonnengesang“, der von Echnaton stammt. Ich glaube, dass Nofretete daran entscheidend mitgewirkt hat. In diesem Gesang wird Aton hoch poetisch gepriesen: „Schön bist du, groß und strahlend, hoch über allem Land. Deine Strahlen umfassen die Länder bis ans Ende von allem, was du geschaffen hast.“ Dieser Gesang ist als 104. Psalm in die Bibel eingegangen. Luther war der Erste, der ihn ins Deutsche übersetzt hat. Im 104. Psalm heißt es: „Licht ist dein Kleid, das du anhast; du breitest aus den Himmel wie einen Teppich.“ Der Kulturhistoriker Egon Friedell hat schon 1936 konstatiert, dass das alte Ägypten christlicher war als viele Staaten, die sich heute christlich nennen.

Hermann A. Schlögl, 80, einer der renommiertesten Ägyptologen Deutschlands, veröffentlichte gerade das Buch "Nofretete. Die Wahrheit über die schöne Königin" (Beck Wissen).
Hermann A. Schlögl, 80, einer der renommiertesten Ägyptologen Deutschlands, veröffentlichte gerade das Buch "Nofretete. Die Wahrheit über die schöne Königin" (Beck Wissen).

© dpa

Die Überlieferungen zu Nofretete wirken widersprüchlich. Einerseits wird ihre „süße Stimme“ als Vermittlerin an der Seite Echnatons gerühmt. Andererseits gibt es Darstellungen, auf denen sie Feinde zertrampelt. Welche Seite war dominanter?

Das Relief, auf dem Nofretete in Gestalt des Sphinx ihre Feinde zertrampelt, entspricht einem alten Topos. Der König hat immer Feinde abwehren und vernichten müssen. Dass Nofretete in dieser Gestalt erscheint, heißt nicht, dass sie tatsächlich getötet hat. Sie trat in dieses königliche Ritual ein, das zeigt ihre Erhöhung. Sie war keine Königin üblicher Sorte, die ihrem Mann untergeordnet war. Im Amun-Tempel in Karnak wurde eine Fassade mit zwölf Pfeilern gebaut, um Aton zu huldigen. Auf allen Pfeilern ist Nofretete dargestellt, unter einem Strahlenbündel dieses abstrakten Gottes Aton. In der Beischrift heißt es: „Sie, die Aton erkannt hat.“ Daraus lässt sich ableiten, dass Nofretete als Religionsstifterin den gleichen Rang wie Echnaton besaß. Nofretete ist ein historisches Beispiel dafür, dass Frau und Mann eine gewisse Gleichwertigkeit in Religion und Gesellschaft hatten. Wenn die katholische Kirche sich bis heute weigert, Frauen zu Priestern zu machen, kann man entgegnen: Im ersten Monotheismus war das anders.

Nofretete und Echnaton verloren in einem Jahr drei Töchter. Es gibt ein Relief, das sie in tiefer Trauer zeigt. Ähnelt dieser Schmerz heutigen Gefühlen?

Mit ihrer religiösen Revolution hatten Nofretete und Echnaton auch die Welt der Gefühle verändert. Sie schafften das Jenseits ab. Das Reich der Toten mit seinen Dämonen und Rettern, die Unterwelt, existierte nicht mehr, der Totengott Osiris war aus dem Pantheon verstoßen. Das Jenseits galt nun als eine Art überhöhtes Diesseits. Dorthin konnte aber nur derjenige gelangen, der es vom König gewährt bekam. Nofretete und Echnaton hatten ihre zehnjährige Tochter Maketaton verloren. Reliefbilder in ihrem Grab zeigen das weinende Königspaar. Die neue Aton-Religion bot wenig Trost. So, wie sie war, ist die Tochter ins Jenseits eingegangen, die Familie hatte sie verloren. Deshalb wirkt die Trauer so expressiv. Aber dieser Jenseitsgedanke war für die Ägypter nicht nachvollziehbar. Die neue Religion warb nicht, sie wurde den Leuten von oben aufgezwungen. Auch deshalb wandten sich die Ägypter schon bald nach Nofretetes und Echnatons Tod vom Aton-Kult ab und kehrten zu ihren alten Göttern zurück.

Die Nofretete-Büste sollte 1933 an Ägypten zurückgegeben werden. Das verhinderte Hitler. Gehört Nofretete nach Kairo?

Nein. Als der Archäologe Ludwig Borchardt die Büste aus dem Haus von Thutmosis barg, kam es zu einer Fundteilung zwischen der Deutschen Orient-Gesellschaft und der ägyptischen Antikenverwaltung. Das war bis 1914 üblich. Die Antikenverwaltung, geleitet vom französischen Ägyptologen Gaston Maspero, entschied sich für einen prachtvollen Klappaltar. Die Büste ist heute nicht mehr Teil von Ägypten, sie gehört zum Weltkulturerbe. Genauso könnte man fordern, alle Gemälde von Rembrandt nach Holland zurückzugeben. Das wäre absurd.

Das Gespräch führte Christian Schröder.

Am Freitag eröffnet im Berliner Neuen Museum die Ausstellung Im Licht von Amarna. 100 Jahre Fund der Nofretete. Infos und Online-Tickets: www.imlichtvonamarna.de (mit Zeitfenster)

Unser Gesprächspartner Hermann A. Schlögl, 80, ist einer der renommiertesten deutschen Ägyptologen. Er begann seine Karriere als Schauspieler, im Ensemble des Züricher Schauspielhauses. Bis zum Jahr 2000 lehrte er an der Universität Fribourg. Gerade ist sein Buch Nofretete. Die Wahrheit über die schöne Königin bei C.H. Beck Wissen erschienen.

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